Das Fahren mit der S-Bahn im Verbundnetz soll vereinfacht werden Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der VVS-Aufsichtsrat hat eine Tarifreform für das Bus- und Bahnnetz der Region Stuttgart beschlossen. Aus bisher 52 Zonen sollen sieben werden. Nun beginnen die Verhandlungen, wie die neue Einteilung finanziert werden soll.

Stuttgart - Bus- und Bahnfahren soll im Verkehrs- und Tarifverbund der Region Stuttgart (VVS) von 2019 an deutlich günstiger und durch eine einfache Ringstruktur attraktiver werden. Das hat der VVS-Aufsichtsrat am Dienstag beschlossen. Doch der Weg dahin wird steinig. Der Aufsichtsratsvorsitzende und Stuttgarter OB Fritz Kuhn (Grüne) muss 42,1 Millionen Euro einsammeln – jährlich.

Wie soll die Zonenreform aussehen?

Die bisher komplizierte kombinierte Ring- und Sektorenstruktur (52 Zonen) soll zur Ringstruktur (fünf Ringe) vereinfacht werden. Aus 14 Varianten wurde dieses Modell gewählt: Aus den Zonen 10 und 20 (Stuttgart) wird eine neue Zone 10, die äußersten heutigen Zonen 60 und 70 werden zu einen Ring zusammengelegt. Somit entfällt nicht nur in Stuttgart, sondern auch für alle Landkreise eine Zone.

Was bedeutet das für die Ticketpreise?

Gemessen an den Ticketpreisen für 2018 bringt die Reform beim Wegfall einer Zone eine Einsparung von 20 bis 25 Prozent. Wer bisher zum Beispiel für die Fahrt nach Stuttgart eine Monatsrate von 86,50 für zwei Zonen zahlte (Jedermann-Ticket), würde nur noch mit 67,60 Euro belastet. Für fünf Zonen würden 143 statt 167 Euro fällig.

Profitieren alle Fahrgäste?

Es können alle profitieren, aber in unterschiedlicher Form. Wer in der Regel nur eine Zone fährt, für den bleibt der Preis gleich, „der Fahrgast hat aber eine größere Leistung, denn er kann zum Beispiel in Stuttgart für diesen Preis zwei Zonen fahren“, sagt VVS-Geschäftsführer Horst Stammler. Von den 382,2 Millionen Fahrten des Vorjahres wären mit der Tarifreform 110 Millionen billiger und keine teurer. Für alle, die von und nach Stuttgart fahren, ist die Preissenkung hoch.

Wer übernimmt den Verlustausgleich?

Das ist die zentrale Frage. Die Fahrgeldeinnahmen lagen 2017 im VVS bei 519 Millionen Euro. Bisher gibt es eine Zusage des Stuttgarter Gemeinderates für neun Millionen Euro jährlich. Die SPD im Rat würde auf 15 Millionen Euro aufstocken. Zunächst müsse nun geklärt werden, was das Land einbringe, sagt Stammler, „dann folgt die Aufteilung auf die weiteren Partner“. Der Aufsichtsrat erwarte einstimmig, dass „eine nachhaltige Finanzierung gesichert werden kann“.

Was sagt das Land?

Man wolle sich „in der Startphase an den Kosten für die VVS-Tarifreform als Maßnahme zur Luftreinhaltung in Stuttgart beteiligen“, sagt ein Sprecher des Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne). Eine Dauerfinanzierung sei wegen der Gleichbehandlung im Land (22 Verbünde) nicht möglich. Der zeitlich befristete Zuschuss werde daher „schrittweise abgeschmolzen“, betont der Sprecher. Konkrete Zahlen werden nicht genannt. Für die vergünstigten Feinstaub-Tickets (Erwachsene fuhren zum Kindertarif) hatte das Land 2017 während des Feinstaubalarms 5,6 Millionen Euro bezahlt, das waren 50 Prozent der Gesamtaufwendungen.

Kann der Verlust geringer ausfallen?

Darauf hoffen alle Partner. Angenommen wurde, dass günstigere Preise fünf Millonen mehr Fahrgäste anziehen. Dann läge der Ausgleichsbetrag bei 42,1 Millionen Euro jährlich. Bei einer Steigerung der Fahrgastzahlen um sieben Millionen würde das Defizit gegenüber heute auf 38,3 Millionen Euro jährlich sinken.

Wann kommt die Reform?

Bestenfalls im zweiten Halbjahr 2019. Der VVS-Aufsichtsrat könnte frühestens am 24. Juli 2018 nach den Zuschuss-Zusagen die Umsetzung beschließen. Gelingt Oberbürgermeister Kuhn eine Einigung nicht mehr vor der Sommerpause, wäre ein Beschluss erst wieder am 9. Oktober möglich. Danach müssten alle Betriebssysteme angepasst werden – was dauert.

Kommt zuvor noch eine Preiserhöhung?

Der VVS erhöht traditionell zum 1. Januar die Preise, angedacht sind für 2019 erneut um die zwei Prozent. Ob der Aufschlag zur Reform verschoben wird und in dieser aufgeht ist unklar, es gibt aber parlamentarisch Sympathien für diese Lösung. Darüber will der Tarifausschuss am kommenden Montag erstmals sprechen.

Wie reagiert der Stuttgarter Gemeinderat?

Das Gremium muss eventuell einen noch höheren jährlichen Zuschuss beschließen. Die Entscheidung des VVS-Aufsichtsrates sei jedenfalls ein „Motivationsschub“ für Autofahrer, auf Bus und Bahn umzusteigen, sagt CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Der Ticketkauf in Stuttgart werde durch eine Zone einfacher und komfortabler. Die drohenden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge würden dadurch „widersinnig“. „Angesichts der Tatsache, dass sich beim Thema Mobilität so viel tut, wäre es aus meiner Sicht unverhältnismäßig, jetzt die Autofahrer zu bestrafen“, sagt Kotz und spielt damit auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts an, das wegen der dauernden Grenzwertüberschreitung bei Stickstoffdioxid ein ganzjähriges Diesel-Fahrverbot billigte. Verhältnismäßig soll es den Richtern zufolge dadurch werden, dass Euro-5-Diesel erst ab September 2019 betroffen sein dürfen.

Kann das Fahrverbot aufgehalten werden?

Das glaubt die FDP-Landtagsabgeordnete Gabriele Reich-Gutjahr. Die VVS-Tarifreform werde „erheblich mehr zur Reduzierung der Belastung beitragen, als auf Fahrverboten zu beharren“, behauptet sie. Zahlen liefert sie dazu allerdings nicht. Die bisherigen Gutachten zum Luftreinhalteplan Stuttgart haben die Wirkung einer Tarifreform nicht betrachtet. Die bisherigen Berechnungen sagen aus, dass alle Diesel bis einschließlich Euro 5 aus der Stadt ausgesperrt werden müssten, um die Stickstoffdioxid-Grenzwerte einzuhalten.

Was sagen die Fraktionen?

„Das ist eine gute Nachricht für die ganze Region“, sagt SPD-Fraktionschef Martin Körner. Die Fahrgäste würden entlastet, die Finanzierung des Nahverkehrs gerechter. Heute bestreiten die Nutzer rund 60 Prozent des Aufwands. Die Stuttgarter Grünen loben die Reformidee als „großen Schritt“. Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir sagt, der VVS bringe mit dem Vorstoß „Licht ins Tarifdickicht“. Nun müsse der Bund die Kommunen unterstützen.