Schaulaufen vor Publikum der Theodor-Heuss-Straße: Die Stadt will verstärkt gegen PS-Protzerei vorgehen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Theodor-Heuss-Straße ist jetzt Chefsache. Für Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn sind stationäre Blitzer kein Tabu mehr, um nächtliche Verkehrsrowdys auf der Partymeile auszubremsen.

Stuttgart - 950 Meter lang ist die Partymeile in der Innenstadt, die an Wochenenden nachts von Besitzern von PS-Boliden zum Schaulaufen mit rauchenden Reifen missbraucht wird. 950 Meter, die seit Jahren weder von der Stadt noch von der Polizei in den Griff zu bekommen sind. Die Theodor-Heuss-Straße gilt als roter Teppich für Verkehrsrowdys – doch jetzt sieht Oberbürgermeister Fritz Kuhn rot. Nach einem Spitzengespräch mit Polizeipräsident Franz Lutz und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer am Donnerstag gab er den Startschuss: Die Stadt, so Kuhns Parole, will „dem Rowdytum ein Ende bereiten“.

Über die Details wurde Stillschweigen vereinbart. „Wir wollen jetzt so schnell wie möglich ein wirksames Konzept erarbeiten“, sagt Stadtsprecher Sven Matis, „aber das ist sehr, sehr komplex.“ Schließlich müsse alles rechtlich haltbar sein und finanziert werden können. Neben technischen Fragen wie Ampelschaltungen gibt es auch die Frage der Kontrollen und des Personalbedarfs.

Tempo 30 und Blitzkästen

Die Zielrichtung ist offenbar aber klar: Bevorzugt wird ein nächtliches Tempolimit, 30 Kilometer pro Stunde. Das muss freilich auch kontrolliert werden. Vorübergehend von der Polizei, die bisher auch schon Schwerpunktaktionen gegen die motorisierte Vergnügungsszene gefahren hat. Zunehmend soll der städtische Vollzugsdienst einsteigen, der dafür ebenfalls mit mobilen Überwachungsgeräten und Fahrzeugen ausgestattet ist. Weil eine solche Überwachung aber erfahrungsgemäß aus Personalgründen bald an ihre Grenzen stößt, ist inzwischen auch Fritz Kuhn überzeugt, dass man an einer stationären Überwachung nicht herumkommt.

Die bisherige mobile Überwachung der Polizei jedenfalls scheint nur kurzfristig zu fruchten. Die Bilanz ist eindeutig: „Eine nachhaltige Befriedung mit polizeilichen Mitteln erscheint offensichtlich nicht erreichbar“, heißt es. Es gebe zwar kurzzeitige Verdrängungen. Lässt die Intensität der Kontrollen aber nach, sind die PS-Protzer mit ihren Sportwagen wieder mit rauchenden Reifen unterwegs. Mit applaudierenden Schaulustigen am Straßenrand.

1058 Sünder in diesem Jahr

Bei den bisherigen Aktionen in diesem Jahr hat die Polizei 1058 Sünder erwischt. Dabei gab es mehr als 200 Fahrverbote und 95 Ordnungswidrigkeiten. 21 Karossen wurden wegen illegaler Umbauten aus dem Verkehr gezogen. Und das, obwohl die Ampeln nachts so geschaltet sind, dass Autofahrer lange Wartezeiten hinnehmen müssen. Obwohl die Wendemöglichkeiten in der Theodor-Heuss- wie auch in der Friedrichstraße schon vor Jahren mit abschließbaren Leitbaken gesperrt werden.

Genutzt hat es aber nur bedingt. Vor allem nicht am vergangenen Wochenende – als ein 18-jähriger BMW-Fahrer aus dem Kreis Ludwigsburg den Oberbürgermeister wachrüttelte. Nachdem Kuhn bei der Bürgerversammlung des Stadtbezirks Mitte Klagen von Anwohnern noch weitgehend abgewiegelt hatte, zeigte der 18-Jährige unfreiwillig dem OB die Problematik der rasenden Vergnügungsszene auf. In der Nacht zum Sonntag verlor er die Kontrolle über sein 300-PS-Auto, rammte einen Metallpfosten, der wiederum zwei Passanten verletzte. Anschließend raste er an einem Fußgänger vorbei, der knapp vor ihm über die Straße hetzte, schleuderte und schanzte über einen Fahrbahnteiler auf die Gegenfahrbahn.

Der Fluchtversuch scheiterte. Der 18-Jährige, der erst seit April den Führerschein hat, wird seine Fahrerlaubnis vorerst abschreiben müssen. Zuständig ist die Führerscheinbehörde im Kreis Ludwigsburg. Der PS-Bolide ist auf den Vater des Fahranfängers zugelassen. Dass der 18-Jährige den 300-PS-Wagen sein eigen nennt, offenbart das Nummernschild mit seinen Namensinitialen und Geburtstagsdatum.

Hausaufgaben der Polizei

Das Konzept gegen die rasenden Rowdys steht im Detail noch nicht fest – die Polizei hat hierfür bereits ihre Hausaufgaben gemacht. Eine regelmäßige Sperrung der Theodor-Heuss-Straße zwischen Willi-Bleicher-Straße und Rotebühlplatz wird grundsätzlich für möglich gehalten. Eine Alternative zur nächtlichen Vollsperrung sind für die Polizei auch bauliche Einengungen. Für Tempo 30 bei Nacht gibt es ebenfalls keine Einwendungen: „Warum nicht?“, formulierte es jüngst Polizeisprecher Stefan Keilbach. Da wäre schon bei 61 km/h ein Fahrverbot fällig. Frühere Kontrollaktionen haben gezeigt, dass die Boliden auch schon mal auf über 100 km/h beschleunigt werden.

Vielleicht wird aber auch im Frühjahr 2016 alles anders. Da soll an der Theo-Partymeile das neue Innenstadtrevier auf Höhe der Büchsenstraße eröffnet werden. Die Polizei braucht dann nur aus dem Fenster zu schauen.

Unfälle in der Theodor-Heuss-Straße

8. November 2015, 1.40 Uhr: Ein 18-jähriger BMW-Fahrer prallt gegen einen Metallpfosten, verletzt zwei Passanten, schleudert über den Mittelstreifen. 20 000 Euro Schaden.

11. Oktober, 3.30 Uhr: Zwei 19-jährige Fußgängerinnen laufen unachtsam über die Straße, werden von einem Taxi voll erfasst und schwer verletzt.

6. Juni, 1.40 Uhr: Ein 19-jähriger Peugeot-Fahrer wechselt unachtsam den Fahrstreifen, übersieht einen 20-jährigen Motorradfahrer. Der wird beim Sturz schwer verletzt.

15. März 2014, 1.30 Uhr: Eine 33-jährige Passantin missachtet die rote Fußgängerampel, wird von einem Taxifahrer erfasst und mehrere Meter durch die Luft geschleudert und schwer verletzt.

1. Januar, 4.30 Uhr: Ein 28-jähriger Fußgänger läuft unachtsam über die Straße, wird von einer jungen BMW-Fahrerin angefahren und schwer verletzt.

28. September 2013, 2.25 Uhr: Mehrere Passanten, die bei Grün die Fußgängerfurt überqueren, müssen vor einem 32-jährigen Motorradfahrer zur Seite springen. Der liefert sich noch eine Verfolgungsjagd mit der Polizei.

11. September, 21.55 Uhr: Eine 28-jährige Fußgängerin läuft bei Rot, wird von einer Mazda-Fahrerin schwer verletzt. (wdo)