Vor der Sitzung des Lenkungskreises bei Stuttgart 21 hat Verkehrsminister Winfried Hermann Forderungen zur Gäubahnplanung. Im Interview kritisiert er auch die Stadt Stuttgart sowie die CDU auf kommunaler und regionaler Ebene.
Am 2. Mai ist bei S 21 wieder Lenkungskreis. Dann geht es um Mehrkosten beim Projekt und um eine neue Planung im Bereich Flughafen. Im Interview sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), wie er darüber denkt.
Herr Hermann, Sie haben eben die Testzugfahrt auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm genossen. Sind Sie nun auch bei Stuttgart 21 im Wohlfühlmodus?
Ich habe mich darüber gefreut, denn das Land hat 950 Millionen Euro bezahlt, damit diese Strecke rechtzeitig gebaut wird und mit Stuttgart 21 fertig wird. Jetzt ist sie samt einem Bahn-Halt in Merklingen vorher fertig. Ich mache mir trotzdem viele Sorgen.
Wie steht es um Stuttgart 21, also den Hauptbahnhof und die Strecke bis Wendlingen?
Die Baustelle in Stuttgart ist für Reisende schwer erträglich, die Wege werden immer länger. Die Bahn tut immerhin ihr Möglichstes und sagt, sie werde bis Ende 2025 mit dem Bahnhof fertig, wenn sie am Wochenende und in der Nacht Zusatzschichten fährt.
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Und dann ist alles gut?
Nein, wir werden eine schrittweise Inbetriebnahme von Stuttgart 21 erleben. Die große Wendlinger Kurve wird nicht fertig, die Gäubahn wird in der City von Sommer 2025 an etwa zehn Jahre unterbrochen sein – statt wie geplant sechs Monate. Neue Projekte des Bundesverkehrswegeplans, die realisiert werden sollen, bringen voraussichtlich weitere Verzögerungen.
Was meinen Sie damit?
Der erste Teil des Bahnhofs am Flughafen wird vermutlich erst 2027 in Betrieb gehen. Das liegt am neuerdings geplanten Tunnel zwischen Böblingen und dem Flughafen, dem Pfaffensteigtunnel. Wenn im Zuge des geplanten Nordzulaufs des Stuttgarter Hauptbahnhofes vorab die zusätzliche Strecke der sogenannten P-Option realisiert wird, kann im Cannstatter Tunnel nur eine von zwei Röhren betrieben werden. Beim Abstellbahnhof Untertürkheimweiß man nicht, ob er bzw. die Zufahrt rechtzeitig fertig wird. Die Bahn hat noch nicht erklärt, wo stattdessen die Züge abgestellt werden.
Warum soll Letzteres so schlimm sein?
Müsste man die Züge weit weg, etwa in Plochingen, Tübingen oder in Heilbronn, abstellen, wäre das sehr kompliziert, aufwendig und für das Land als Besteller des Nahverkehrs auch teuer. Auch wäre es leicht möglich, dass sie bereits unpünktlich in Stuttgart ankommen. Oder wenn man einen schnellen Ersatzzug braucht, ist er halt nicht schnell da. Die Erwartungen der Menschen werden aber hoch sein. Sie wollen nach langer Bauzeit einen gut funktionierenden Bahnhof.
Was also bedeutet die Betriebsaufnahme im Hauptbahnhof Ende 2025?
Wegen der Lücken bei Stuttgart 21 werden wir leider noch nicht den gewünschten Fahrplan fahren können, im Nahverkehr werden manche Wünsche nach Anbindungen noch nicht einlösbar. Das ist schon fatal, denn man hat dann sehr viel Geld ausgegeben und noch keinen richtig guten Nutzen.
S 21 steht dann für Stückwerk 21?
Manche reden von einem Torso, so weit würde ich nicht gehen. Aber Ende 2025 gibt es jedenfalls noch nicht annähernd das, was einmal für Stuttgart 21 in Aussicht gestellt wurde. Auf der anderen Seite haben wir für wichtige Verbesserungen in den Plänen gesorgt, die anfangs nicht vorgesehen waren, wie eine zweigleisige Wendlinger Kurve, den bereits jetzt fertiggestellten Regionalbahnhalt in Stuttgart-Vaihingen und die Digitalisierung des Schienenknotens. Dass etliche Änderungen an den ursprünglichen Planungen notwendig sind, damit der Verkehr am Eisenbahnknoten Stuttgart künftig gut funktioniert, ist Konsens.
Wann wird S 21 wunschgerecht sein?
Wann das Projekt fertig wird, hängt von der Realisierung der Veränderungen ab, etwa dem neuen Anschluss der Gäubahn über den Pfaffensteigtunnel. Wenn der ohne Mehrkosten für das Land bei S 21 finanziert und schnell realisiert wird, ist er allerfrühestens in zehn Jahren fertig. Die Gäubahn wird viele Jahre abgehängt, für diese internationale Verbindung ist das schlicht das Aus.
Aber der Tunnel ist besser als der zuvor geplante Mischverkehr mit IC-Zügen auf S-Bahn-Gleisen zum Flughafen?
Der Tunnel allein ist nicht die Lösung. Er kommt auf die bestehende Strecke Goldberg–Böblingen, und die ist nur zweigleisig, heute schon stark ausgelastet. Wir hätten dann einen Engpass zwischen Goldberg und Böblingen. Darüber muss man sprechen, schließlich erwartet die Bahn unsere Unterstützung für den Tunnel, wenn die S-21-Finanzierungsverträge geändert und 270 Millionen Euro aus dem S-21-Budget für die Alternative verwendet werden sollen. Wohlgemerkt, ich rede nicht gegen den Tunnel, ich setze mich für echte Verbesserungen ein.
Kennt die Bahn die Probleme?
Die Bahn erwartet, dass der Gäubahntunnel schneller und leichter zu bauen ist. Sie selbst findet inzwischen ihre alte Planung am Flughafen erheblich verbesserungsbedürftig. Um die Gäubahnzüge auf ihrer gesamten Strecke zu beschleunigen, sieht die Planung des Deutschlandtaktes im Bundesverkehrswegeplan vor, nicht mehr in Böblingen und Singen zu halten. Dass die größten Städte entlang der Strecke abgehängt werden, können wir aber keinesfalls zulassen.
Wo sehen Sie Probleme am Flughafen?
Wir hatten ein drittes Zusatzgleis neben dem S-Bahn-Halt für die Gäubahn vereinbart, also insgesamt fünf Gleise. Mit der neuen Lösung sind es vier. Das müssen wir prüfen und dabei auf die betriebliche Robustheit im Störfall achten. Das ist wichtig für die Funktionsfähigkeit und für die Fahrgäste.
Was bedeuten die unterschiedlichen Fertigstellungszeiten? Die Züge rauschen Ende 2025 am Flughafen vorbei?
Ja, sie werden wohl vorbeirauschen. So lange, bis der Flughafenbahnhof, Teil eins, 2027 in Betrieb geht, also die Ausschleifung der Strecke von Stuttgart nach Ulm. Wie lange der Gäubahnanschluss dann noch dauert, steht in den Sternen. Etwa 10 oder auch 15 Jahre. Man sollte realistisch sein und aus der bisherigen Geschichte von Stuttgart 21 lernen.
Was die Stadtmitte angeht, dringen Sie nach wie vor auf den Ergänzungshalt am Tiefbahnhof, trotz Digitalisierung?
Man wird nach der Inbetriebnahme des Hauptbahnhofes bald feststellen, dass man für eine am Klimaschutz orientierte Verkehrspolitik mehr Regionalzüge und für die S-Bahn mehr Gleise braucht. Wenn wir das jetzt nicht planen, wird der Schienenverkehr in Stuttgart trotz Digitaltechnik schon in den nächsten 20 Jahren an seiner Grenze sein. Ich finde es nach wie vor befremdlich, dass Stadt und Region, für die wir den weiteren Ausbau vorsehen, so sehr gegen den unterirdischen Ergänzungshalt sind.
Lässt die CDU im Land Sie allein?
Nein, aber es ist ärgerlich, dass die CDU in Stadt und Region sich offenbar zu nichts verpflichtet fühlt oder nicht weit genug in die Zukunft schaut. Ich erhoffe mir, dass der Dialog der CDU im Land mit der kommunalen Ebene Bewegung in die Sache bringt.
Wird Ihr Kampf um die Ergänzungsstation nicht schwerer? Es kam der Ruf nach längeren Bahnsteigen. Das erhöht die technischen Probleme und Kosten.
Es geht, auch wenn es nicht trivial ist. Aber jetzt muss ich schon auch mal grundsätzlich sagen: Diejenigen, die von Anfang an gegen die Ergänzungsstation waren, sagten uns, vier Gleise seien womöglich doch zu wenig, es müssten sechs Gleise sein und längere Bahnsteige. Wenn dann alles teurer wird, heißt es: Das ist doch viel zu teuer.
Jetzt ärgern Sie wieder die Stadt.
Wir erkennen selbstverständlich an, dass die Stadt als Eigentümerin und in ihrer Not, Wohnraum zu schaffen, auch wirklich bauen können muss. Aber durch die Tieflage der Ergänzungsstation wollen wir die verkehrlichen und städtebaulichen Bedürfnisse ja miteinander vereinbaren. Die Stadt sollte nicht eine durchaus machbare Doppellösung verhindern. Auf der ganzen Welt wird in Großstädten so geplant, dass man unterirdisch mit Bahnen fahren kann und darüber baut. Nur in Stuttgart tut man so, als würde sich das vollständig ausschließen.
Was passiert beim Lenkungskreis?
Da wollen wir ausführliche Informationen. Ich möchte nicht, dass wir ohne genaue Prüfung ein weiteres milliardenteures Tunnelprojekt starten ohne Realisierungs- und Finanzierungszusage des Bundes. Wir wollen den Tunnel nicht verhindern, aber es muss geklärt sein, dass er einen Mehrwert hat und funktioniert. Das Land wird jedenfalls nicht mehr als die bisher vereinbarten 930 Millionen Euro zahlen.
Zur Person
Persönlich
Der Grüne Winfried Hermann (69) war Gymnasiallehrer (Deutsch, Politik, Sport) und auch schon Bundestagsabgeordneter (1998 bis 2011). Er ist verheiratet und hat ein Kind.
Amt
Seit 2011 ist Hermann Verkehrsminister in Baden-Württemberg. Er zählt zum linken Flügel der Grünen und ist ein passionierter Radfahrer.