Dass Polizisten vorgegeben wird, wie viele Verkehrssünder erwischt werden sollen, sorgt für Aufregung. Foto: Oliver Willikonsky - Lichtgut

Die Polizei soll noch mehr Gurtmuffel als sonst erwischen. Die Vorgaben gegen Verkehrssünder sorgen für Aufregung. Vor allem weil der Eindruck entsteht, dass die Polizei festgelegte Quoten erfüllen muss.

Stuttgart - Eigentlich hatten die Polizisten im Land letztes Jahr ihr Soll erfüllt. 127 500 Gurtmuffel sollten erwischt und belangt werden. Bis auf 88 wurde diese Vorgabe auch erreicht. Doch in den Polizeirevieren atmet deshalb niemand auf: „Zum Dank wurde der Wert für dieses Jahr auf 130 000 hoch gesetzt“, heißt es. Dieser sogenannte Orientierungswert ist, wie unsere Zeitung aufdeckte, bis auf jedes Revier als Vorgabe heruntergerechnet – und wird monatlich wie eine Hitparade begutachtet.

Die Streifendienste in den Revieren stöhnen unter Personalnot, Autofahrer fühlen sich in Einzelfällen zu Unrecht herausgewinkt und abgestraft – der politischen Unruhe stellt sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) aber nicht. Für ihn übernimmt der Inspekteur der Polizei, Detlef Werner, die Erklärung: „Unser Ziel ist die Verkehrssicherheit“, sagt er in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Die Orientierungswerte für Gurtmuffel oder Handysünder seien nicht vom Ministerium vorgegeben, sondern „gemeinschaftlich mit den Polizeipräsidenten erarbeitet“. Eine strikte Zielvorgabe aber gebe es nicht.

Ablenkung war bei jedem sechsten Unfalltod im Spiel

Der Wert der zu entdeckenden Gurtverstöße sei „auf 130 000 aufgerundet“ worden, so Werner. Man gehe davon aus, dass dieser für mehrere Jahre gelten werde. Hintergrund dafür, dass 80 000 Handysünder erwischt werden sollen – in Stuttgart sind das monatlich 700, in Esslingen, Tübingen und Reutlingen monatlich 577 – sei die Unfallgefahr: „Bei 17 Prozent der tödlichen Unfälle hatte zuvor Ablenkung eine Rolle gespielt“, so Werner.

Für Verkehrsteilnehmer hat der Kontrolldruck offenbar manchmal seltsame Folgen. Eine Stuttgarter Autofahrerin berichtet von einer Kontrolle in der Straße Am Kräherwald, wo ihr ein Handyverstoß vorgeworfen wurde. Die Betroffene: „Mein Handy befand sich ausgeschaltet in meiner Hosentasche, ich war angeschnallt und kam auch nicht dran. Der letzte Anruf war zwei Tage alt, Whatsapp war auch schon eine halbe Stunde her.“ Die Beobachtung eines Kollegen sei entscheidend, habe sie zu hören bekommen. „Mein Vertrauen in die Polizei ist weg“, sagt sie.

„Kein Beamter muss Verkehrsverstöße zusammenkratzen“

Dass nicht nur das Telefonieren, sondern schon das Halten eines Handys in der Hand bestraft werden kann, sei vielen nicht bewusst, sagt Inspekteur Werner. Diese geänderte Rechtslage „hat auch die Arbeit und den Nachweis für die Polizei leichter gemacht.“ Ob deshalb auch im Zweifel eher gegen den Autofahrer entschieden wird? „Kein Polizeibeamter muss versuchen, sich irgendwelche Verkehrsverstöße zusammenzukratzen, nur um eine Quote zu erfüllen“, sagt Werner.

Ein Handwerker aus Frickenhausen (Kreis Esslingen) sieht das sicher anders. Der war in einem VW Bus mit abdunkelten Scheiben unterwegs, den Gurt über seiner schwarzen Weste – und wurde als Gurtmuffel angehalten. Der Mann ging vor Gericht, weil er der Auffassung war, dass die Polizeibeamten den Gurt gar nicht sehen konnten. Er scheiterte. Ebenso wurde eine Fachaufsichtsbeschwerde vom Polizeipräsidium Reutlingen als unbegründet zurückgewiesen. Sein Anwalt will den Beamten keine Absicht unterstellen. „Wenn es aber zu subjektiven Fehleinschätzungen kommen kann“, sagt Rechtsanwalt Jochen Leibold, „dann müssten Kontrollen auf dieser Basis von den Gerichten sehr viel kritischer überprüft werden.“

Es gibt noch andere Rankings: Aufklärungsquoten

Der Präsident des Anwaltvereins Stuttgart, Olaf Hohmann, sieht in einer höheren Kontrolldichte und an Vorgaben an Polizisten zunächst nichts Kritisches. „Problematisch wäre es hingegen, wenn das Innenministerium ein Mindestmaß an Regelverstößen fordern würde, das nur erreicht werden kann, wenn Beamte tatsächlich nicht festgestellte Verstöße vortäuschen würden.“

Das schließt Werner kategorisch aus: „Ein solcher Beamter macht sich strafbar, riskiert seinen Job.“ Staatsanwaltschaftssprecher Heiner Römhild erklärt, dass dies eine Straftat der Verfolgung Unschuldiger sei. „Anzeigen und Beschwerden hat es schon viele gegeben“, sagt Römhild, „ein Verfahren dieser Art aber noch nie.“

Dabei gibt es nicht nur Fangquoten für Verkehrssünder, sondern auch andere Rankings. Nach Informationen unserer Zeitung liegt Stuttgart bei der Aufklärungsquote von Wohnungseinbrüchen aktuell bei 21,4 Prozent, deutlich hinter Karlsruhe (38 Prozent), aber weit vor Reutlingen mit 7,1 Prozent. „Statistiken haben durchaus Auswirkungen auf Polizeibeschäftigte“, sagt Ralf Kusterer, Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Kollegen zählten ihre Fälle. Schließlich gehe es auch um bessere Beurteilungen. Die Überlastung auf den Revieren relativiere aber vieles: „Der Streifendienst fährt von Auftrag zu Auftrag“, sagt Kusterer, „da bleibt wenig Zeit für irgendwelche Zahlen, die man erfüllen kann.“