Der Rems-Murr-Kreis gehöre zu den Landkreisen mit dem höchsten Verkehrsaufkommen im ganzen Land, sagt der Kreis-Verkehrsdezernent Stefan Hein. Warum das so ist und wie man dem begegnen sollte, erklärt er in unserem Interview.
Stefan Hein ist seit vier Jahren Dezernent für Bauen, Umwelt und Infrastruktur im Waiblinger Landratsamt.
Herr Hein, die Verkehrssituation ist über alle Kommunen hinweg eine der am schlechtesten bewertete Kategorien in unserem Heimat-Check. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Der Rems-Murr-Kreis gehört zu den Landkreisen mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in Baden-Württemberg. Im Kreisgebiet finden täglich sehr viele Pendler- und Güterbewegungen statt.
Bei den Ergebnissen des Heimat-Checks ergeben sich wenig überraschend die niedrigsten Bewertungen vor allem in Kommunen entlang der Bundesstraßen. Bereits im Normalbetrieb ist dort die Belastung für die Menschen hoch.
Jede Störung auf der Bundesstraße führt zusätzlich zu massiven Auswirkungen in die Netze der Kommunen hinein. Ebenfalls niedrige Bewertungen gab es in Kommunen, die zwar ländlich gelegen sind, jedoch bekanntermaßen ein hohes Aufkommen an Freizeit- und Wochenendverkehr haben. Hier sorgen insbesondere in den Sommermonaten rücksichtslos und lärmend fahrende Verkehrsteilnehmer für Verärgerung.
Was müsste aus Ihrer Sicht am dringendsten verbessert werden?
Der hohe Bedarf an Mobilität im Rems-Murr-Kreis wird trotz aller Bemühungen um Verkehrsvermeidung und das inzwischen verbreitete Arbeiten im Homeoffice bestehen bleiben. Was sich aber ändern muss, ist die Art und Weise, wie wir diese Mobilität abwickeln.
Der derzeitige Schwerpunkt auf dem motorisierten Individualverkehr ist zu ausgeprägt und nicht zukunftsfähig. Viele Bereiche unseres Straßennetzes sind zu hoch belastet. Die Mobilität kann und muss besser auf alle zur Verfügung stehenden Verkehrsträger verteilt werden. Dies funktioniert natürlich nur, wenn das Angebot entsprechend attraktiv ist.
Der schienengebundene ÖPNV bleibt mit seinem Angebot derzeit hinter den Erwartungen der Menschen zurück. Hier müssen dringend und nachhaltig Verbesserungen erreicht werden. Ein Verkehrsmittel, dessen sehr großes Potenzial derzeit noch viel zu wenig ausgeschöpft wird, ist das Fahrrad. Mit der entsprechenden Infrastruktur kann hier ein viel größerer Teil des täglichen Verkehrs abgewickelt werden, als dies derzeit noch der Fall ist. Neben einer gleichmäßigeren Verteilung auf die Verkehrsträger muss auch die Steuerung des Verkehrs dringend intelligenter und digitaler werden.
Insbesondere die Schnittstellen zwischen Verkehrsträgern müssen spontan und niederschwellig funktionieren. Dann wird es möglich sein, Mobilität individueller an Störungen, Witterung, Tageszeit oder andere Faktoren anzupassen. In Bereich Verkehrslärm sollten auf Bundesebene die technischen Regelungen für Abgasanlagen überprüft werden. Bewusst lärmende Fahrzeuge entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist.
Was kann der Kreis beitragen, um die zumindest gefühlte Belastung zu verbessern, was ist Aufgabe der Kommunen?
Der Landkreis kann mit gezielten und auskömmlichen Investitionen Anreize schaffen, häufiger alternative und klimafreundlichere Verkehrsmittel als das Auto zu nutzen. Im Bereich ÖPNV und Radverkehr verfolgen wir diese Strategie seit Jahren mit Erfolg. Der Ausbau eines qualitativ hochwertigen kreisweiten Radwegenetzes und die Planungen von Radschnellwegen entlang hochbelasteter Verkehrsachsen kommen gut voran.
Daneben verfolgen wir eine Vielzahl von Projekten, unter anderem im Rahmen des Klimaschutzhandlungsprogramms, die Mobilitätsformen abseits des Autos gezielt fördern und bewerben. Als großer Arbeitgeber sehen wir uns in der Pflicht, hierbei mit gutem Beispiel voranzugehen. So gibt es im Landratsamt neben der ÖPNV-Förderung eine große Flotte an Diensträdern und E-Rollern, Dienstrad-Leasing und hervorragende Dusch- und Umkleidemöglichkeiten für die Mitarbeitenden. Im Bereich der Verkehrssteuerung beteiligt sich der Landkreis an der Entwicklung von intelligenten Verkehrsmanagementsystemen, wie zum Beispiel die flexible Steuerung von Lichtsignalanlagen im Rahmen der Regionalen Mobilitätsplattform für die gesamte Region Stuttgart.
Nach erfolgreicher Einführung sollen im Rahmen des Projekts an der Bundesstraße auch Displays mit intelligentem Leitsystem installiert werden, welche dem Verkehrsteilnehmer situationsgerechte Empfehlungen für die weitere Routen- und Verkehrsmittelwahl geben.
Im Kampf gegen vorsätzlich verursachten Verkehrslärm bietet uns die aktuelle Rechtslage leider nur wenig Handlungsmöglichkeiten. Hier ist der Gesetzgeber in der Pflicht, nachzusteuern. Mit einer groß angelegten Messkampagne auf der Sulzbacher Steige im Jahr 2022 haben wir den Grundstein dafür gelegt, zusammen mit den örtlichen Kommunen und dem Land neue und innovative Maßnahmen im Kampf gegen Verkehrslärm als Pilotprojekte umzusetzen. Die Kommunen können durch gezielte Investitionen in eine gute Infrastruktur für Radfahrende und Fußgänger Anreize schaffen, für die täglichen Wege insbesondere innerhalb des Ortes nicht immer das Auto zu nutzen.
Die Gestaltung der Zuwegung und das Umfeld von Haltestellen spielt für die Attraktivität des ÖPNV ebenfalls eine wichtige Rolle. Eine gute Zuwegung und sichere Abstellmöglichkeiten an der Haltestelle beispielsweise motivieren dazu, die sogenannte letzte Meile bis zur Haustür nicht mit dem Auto zurückzulegen. Die Abwicklung von unvermeidbaren Verkehren innerhalb des Ortes kann durch entsprechende Verkehrsregelungen gezielt gesteuert werden.
So werden Verkehrsströme kanalisiert und andere Bereiche zu Gunsten alternativer Verkehrsmittel entlastet. Intelligente Signaltechnik erlaubt dabei sogar, auf bestimmte Ereignisse flexibel zu reagieren. Auch im Bereich des Parkraummanagements bestehen wirkungsvolle Möglichkeiten zur Einflussnahme auf das Verkehrsverhalten.
Was kann jeder Einzelne tun?
Die Entscheidung über das Verkehrsverhalten trifft letztlich nur der Nutzende selber. Deshalb liegt hier auch das größte Potenzial. Der Griff zum Autoschlüssel erfolgt in den meisten Fällen nicht aufgrund einer bewussten Entscheidung, sondern vielmehr aus Gewohnheit. Wenn man dieses Muster durchbricht und sich mehr Gedanken um das „wie“ seiner Mobilität macht, kann man im Ergebnis persönliche Vorteile haben.
Es ist sinnvoll, das eigene Verkehrsverhalten mit Blick auf das Ziel zu analysieren und dann seine Entscheidung bewusst für das bestmögliche Verkehrsmittel zu treffen.
Insbesondere für kurze Wege gibt es viele Alternativen zum Auto. Ist das Auto für einen Weg unvermeidbar, kann dennoch der Zeitpunkt der Fahrt überlegt gewählt werden. Weiter lohnt es, sich mit den inzwischen weit verbreiteten Sharing-Angeboten vertraut zu machen. Das Auto stehen zu lassen bedeutet einen Verzicht auf Komfort, kann aber auch deutlich überwiegende Vorteile bringen, wie zum Beispiel eine Zeitersparnis durch Vermeidung von Stau, weniger Kosten, gesunde körperliche Aktivität und ein gutes Gefühl durch die Vermeidung von Emissionen.
Stefan Hein
Privat
Stefan Hein ist 40 Jahre alt und wohnt in Kernen im Remstal.
Beruf
Der Diplom-Ingenieur war zunächst als Landesbeamter abgeordnet ins Straßenbauamt des Rems-Murr-Kreises, dessen Leitung er 2018 übernahm. Seit 2019 ist er Dezernent für Bauen, Umwelt und Infrastruktur im Waiblinger Landratsamt.