Kein Tag ohne Kolonnen: die B 10 bei Enzweihingen Foto: factum/Archiv

Die Enzweihinger ächzen unter den fast 30 000 Fahrzeugen, die täglich durch ihren Ort rollen. Seit Jahrzehnten wird über Umfahrungs-Varianten gegrübelt. Doch gegen die aktuell geplante B-10-Nord-Umgehung machen nun Umwelt- und Verkehrsverbände Front.

Vaihingen an der Enz - Es sind schwere Geschütze, die führende Umwelt- und Naturschutzverbände in Baden-Württemberg, der Verkehrsclub Deutschland VCD und die Schutzgemeinschaft Mittleres Enztal im Schulterschluss auffahren: Sie bezeichnen die geplante Umfahrung der B 10 als rechtswidrig und fordern, die Planungen für einen Kurztunnel zu reaktivieren. Bei der Trassenplanung, die auf einem Damm und Brücken nördlich um den Vaihinger Stadtteil Enzweihingen führen und die Enz und den Strudelbach überqueren soll, seien gefährdete, schützenswerte Arten „übersehen oder ausgeblendet worden“, die Unterlagen des Regierungspräsidiums Stuttgart (RP) von „völlig mangelhafter Qualität“.

Umfahrung contra Tunnel

Knapp 30 000 Fahrzeuge rollen täglich durch Enzweihingen. Die Forderung nach einer Umfahrung gibt es seit Jahrzehnten, Überlegungen gab es für einen Langtunnel und für zwei Kurztunnel-Varianten (Kostenschätzung: zwischen 74 und 77 Millionen Euro). Die aktuell diskutierte Umfahrung, für die seit 2017 das Planfeststellungsverfahren läuft, würde rund 38 Millionen Euro kosten, acht Millionen allein die Verlegung der Straßenmeisterei.

Bei einer Befragung der Enzweihinger selbst, die den Lärm und Gestank ertragen müssen, votierten 74 Prozent für diese Umfahrung. Die Befragung war 2013 an die Bundeswahl gekoppelt worden, so kam eine Beteiligung von 80 Prozent zustande. „Rechtlich bindend war diese Befragung nicht, aber für ein Stimmungsbild doch aussagekräftig“, sagt der Vaihinger Oberbürgermeister Gerd Maisch.

Gefährdete Tiere und Pflanzen entdeckt

Aus Sicht der Umwelt- und Naturschutzverbände war die Bürgerbefragung jedoch „einseitig, unzureichend und undemokratisch“. Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender moniert, es sei „höchst fragwürdig, den größten Teil der Vaihinger Bevölkerung auszuschließen“. Die Verbände fordern eine Befragung aller Vaihinger, die „alle aktuellen und neuen Fakten berücksichtigt“. Dazu zählt aus ihrer Sicht ein vom Naturschutzbund Nabu beauftragtes Gutachten von Steffen Caspari, einst Landesnaturschutzbeauftragter des Saarlandes. Der Artenkenner fand gefährdete Pflanzenarten und auf der Roten Liste stehende Heuschrecken-Arten, auf die, so der Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle, das Gutachten des RP gar nicht eingehe. Ebenso wenig wie auf Weißstörche und „EU-weit streng geschützte Schwarzstörche“, die in der Enzaue Nahrung suchten. Auch würden „geltende Gerichtsurteile ignoriert“, und „die Abwägung bei streng und EU-weit geschützten Arten wie das Große Mausohr bei den Fledermäusen, den Eremit bei den Käferarten oder die Grüne Flussjungfer bei den Libellen“ sei nicht korrekt. Um geschützte Fischarten wie Bitterling, Groppe und Strömer sorgt sich der Landesfischereiverband, um den Hochwasserschutz der Landesnaturschutzverband. Und die Schutzgemeinschaft Mittleres Enztal kritisiert die laut dem Vorsitzenden Gerhard Joos „völlig überdimensionierten Planungen für die beiden Kreuzungsbauwerke in der Enzaue“.

Die Kritiker sprechen von „völlig überdimensionierten Planungen“

Er befürchtet auch eine zusätzliche Verlärmung von Enzweihingens Halbhöhenlagen und prangert die „großflächige Asphaltierung“ an. Selbst der Verkehrsclub positioniert sich gegen die Umfahrung: Der Landesvorsitzende Matthias Lieb sagt, wer die Klimaschutzziele erreichen wolle, dürfe keine neuen Straßen bauen. Es sei belegt, dass eine Tunnellösung eine Schadstoff-Entlastung bringe, ohne dass, wie bei der geplanten Umfahrung, bisher kaum betroffene Gebiete Lärm und Abgase abbekämen.

Die Argumente der Verbände seien nicht neu, erklärt die Pressestelle des Regierungspräsidiums. „Die Auslage der Planunterlagen zur allgemeinen Einsichtnahme erfolgte von 19. Juni 2017 bis 18. Juli 2017, Einwendungen konnten bis zum 15. September 2017 erhoben werden.“ Mehrere Verbände hätten ihre Einwendungen damals vorgetragen.

Das Regierungspräsidium kündigt „ausführliche Diskussionen“ an

Das Präsidium erklärt, diese prüfen, gegenüber der Planfeststellungsbehörde Stellung beziehen und die kritischen Themen im Erörterungstermin „ausführlich diskutieren“ zu wollen. Ein Datum für diese Erörterung – sie ist Voraussetzung für den Planfeststellungsbeschluss, mit dem das Gesamtvorhaben steht und fällt – steht indes noch nicht. Der Vaihinger OB Gerd Maisch hofft, dass er noch 2019 stattfindet, der Beschluss 2020 fällt, 2022 der Bau startet und die Umfahrung 2025 da ist – „wenn alles optimal läuft“. Dass die Verbände ihre Bedenken ausgerechnet jetzt in einer konzertierten Aktion publik machen, habe Vorteile, findet er: „In ein paar Wochen sind Wahlen. Jetzt weiß man noch mal ganz genau, wer welche Positionen vertritt.“

Den Vorwurf der mangelnden Bürgerbeteiligung will das RP nicht auf sich sitzen lassen: Vor dem Planfeststellungsverfahren habe es umfangreiche Varianten-Vergleiche gegeben, die im Gemeinderat und in einer Bürgerinformationsveranstaltung im Juli 2013 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt worden seien. Der Gemeinderat habe dann für die nördliche Umfahrungsvariante gestimmt – und er repräsentiere immerhin alle Stadtteile.