Fahrverbote, Feinstaub, Auto oder Fahrrad – die Stuttgarter Initiative Radentscheid hat Vertreter der vier größten Parteien im Gemeinderat zu einer Diskussionsrunde über die Stuttgarter Verkehrsprobleme eingeladen.
Stuttgart - Dieselfahrverbot, Feinstaubbelastung, endlose Staus tagtäglich, ein schlecht ausgebautes Radwegenetz, und der öffentliche Nahverkehr könnte auch besser werden. Vor diesem Hintergrund hat die Bürgerinitiative Radentscheid Vertreter der vier größten Parteien im Gemeinderat – CDU, SPD, Grüne und SÖS/Linke-Plus – in den Württembergischen Kunstverein geladen, um über die Gestaltung des Verkehrs in der Stadt zu diskutieren. „Über Verkehr lässt sich streiten – über ein rücksichtsvolles Miteinander nicht“ war der Titel der Veranstaltung. Rund 200 Besucher sind der Einladung gefolgt.
Die Belastung durch den Autoverkehr ist hoch. „Rund 245 000 Menschen fahren täglich von außerhalb nach Stuttgart“, sagt der Moderator Dominic Egger vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Wie stellen sich die Politiker Verkehr künftig in Stuttgart vor? Martin Körner (SPD) plädiert für die „Fünf-Minuten-Stadt“: Geschäfte, Schulen, Infrastruktur müssten grob innerhalb von fünf Minuten fußläufig erreichbar sein.
CDU appelliert an die Vernunft der Menschen, Verbote lehnt die Partei ab
Christoph Ozasek (SÖS/Linke-Plus) hält es für falsch, weiterhin „Milliardensummen in den Ausbau der Bundesstraßen“ zu investieren. „Das ist Geld, das für eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur fehlt.“ Er wünscht sich zudem eine „entschleunigte Stadt“.
Eine Abkehr vom Autoverkehr hält Beate Bulle-Schmid (CDU) nicht für realistisch: „Wir haben viel Last- und Lieferverkehr, und wir brauchen auch den Individualverkehr.“ Sie betont: „Wir wollen den Leuten als CDU nicht vorschreiben, mit was sie fahren sollen.“ Sie glaube an den Menschen als „Vernunftwesen“ und halte es daher für wichtiger, den ÖPNV und den Radverkehr zu verbessern. Und dann sagt sie noch etwas, was beim Publikum für großes Gelächter sorgt: „Wir haben ja längst keine autogerechte Stadt mehr.“ Auch das Feinstaubproblem sei „gelöst“.
Christine Lehmann (Grüne) ist da anderer Meinung, zielt aber ebenfalls nicht auf Verbote, sondern auf „Verführung“ ab. Lehmann ist leidenschaftliche Radlerin. „Ich möchte die Menschen dazu verführen.“ Denn: „Radfahren ist gesund und macht auch Spaß. Und man kommt am schnellsten und sichersten ans Ziel“, sagt die Grünen-Stadträtin, räumt aber dann ein, dass es mehr dieser „schönen und sicheren Radwege“ brauche in Stuttgart.
Grüne und SÖS/Linke-Plus fordern dringend bessere Radinfrastruktur
Im Interesse des Veranstalters war sicherlich die Kritik einiger Politiker an der städtischen Radinfrastruktur. Körner betonte , man müsse als Stadt nun an die Umsetzung gehen, das Konzept sei ja da. Auch Lehmann fehlt noch viel zur fahrradfreundlichen Stadt. Man habe viel geschafft, dennoch hinke man 20 Jahre hinterher: „Es fehlt noch so wahnsinnig viel.“ Ozasek sieht den Zustand der Hauptradrouten als „Schlag ins Gesicht für jeden, der sich mit Radinfrastruktur beschäftigt“.
Was meinen die Vertreter müsse sich ändern, fragt Egger. Körner sieht eine Lösung darin, mehr Tunnel zu bauen. „Das Leben, wie es heute in Heslach ist, wäre so nicht möglich ohne den Heslacher Tunnel.“ Bulle-Schmidt unterstützt das.
Forderung nach Mobilitätswandel
Ozasek hält davon – logischerweise – nichts. Das sei nur eine reine Verlagerung des Problems, die Kosten zudem immens. Er erkennt aber Fortschritte bei der Tunnel-Agenda der CDU: „Sie wollen nicht mehr den ÖPNV und die Fußgänger in dunkle Unterführungen stecken, sondern die Autos“, sagte er süffisant. „Ich glaube, ein bisschen schämen sie sich insgeheim auch für die Autostadt.“
Weg von der Autostadt, das wünscht sich auch Christine Lehmann: „Wir sollten Stuttgart die Chance geben, entlastet zu werden. Wir sollten jetzt mit dem Mobilitätswandel beginnen – ohne wieder auf Erleichterung fürs Auto zu setzen.“
Wer denn die Forderungen des Radentscheids gut findet, fragte Egger noch. Lehmann, Körner und Ozasek unterstützen die Ziele „voll und ganz“, sagen sie. Bulle-Schmid meinte, sie könne das immerhin zu „drei Viertel“.