Mehr als 228 000 Wildunfälle hat es im vergangenen Jahr in Deutschland gegeben. Foto: dpa

Jedes Jahr kommen bis zu 20 Menschen bei Wildunfällen ums Leben, auch der Sachschaden ist gewaltig. Vor allem mit Rehen gibt es immer wieder Kollisionen. Reflektoren am Straßenrand sollen die Gefahr mindern - denn der Mensch kann durchaus etwas dagegen tun.

Hannover - Im Land mit dem wohl meisten Wild Europas, in Deutschland, gibt es zugleich ein dicht geknüpftes Straßennetz - das führt zu Problemen. Mehr als 228 000 Wildunfälle hat es im vergangenen Jagdjahr, das von April bis März dauert, bundesweit gegeben. Damit lagen die Zahlen ähnlich hoch wie im Jahr zuvor, wie der Deutsche Jagdverband (DJV) und der ADAC am Donnerstag in Hannover mitteilten. Die versicherten Sachschäden seien auf zuletzt rund 680 Millionen Euro gestiegen. Nach Angaben der Versicherer waren es 2016 sogar mehr Wildunfälle als je zuvor.

Die mit Abstand meisten der Unfälle gehen laut DJV-Sprecher Torsten Reinwald auf Rehe zurück (85,5 Prozent), gefolgt von Wildschweinen (11,5 Prozent) und Hirschen (rund 3 Prozent). Jedes Jahr kämen dabei bis zu 20 Verkehrsteilnehmer ums Leben, etwa 2500 würden verletzt.

Diese Zahlen wurden anlässlich einer Fachtagung zur Wirkung von Wildwarnreflektoren vorgestellt, die an Leitpfosten am Straßenrand angebracht sind und Schweinwerferlicht reflektieren. Das soll die Tiere von der Straße fernhalten. Rund 200 Experten sprachen am Rand der Messe Pferd & Jagd über das Thema.

Experten vermuten Dunkelziffer von Wildunfällen

„Die Wirksamkeit von Reflektoren wird nach wie vor kontrovers diskutiert“, sagte Reinwald. „Es gibt Hinweise, dass sie helfen können.“ Das habe etwa eine Fünf-Jahres-Studie in Schleswig-Holstein ergeben. „Allerdings ist die Wirkweise nicht geklärt“, sagte der DJV-Sprecher. „Es gibt auch Studien, die zeigen, dass häufig eingesetzte blaue Wildwarnreflektoren rein physikalisch nicht funktionieren.“ Deshalb bestehe weiterhin Forschungsbedarf.

Reinwald vermutet mit Blick auf die aktuellen Zahlen zudem eine Dunkelziffer von Wildunfällen, die bei Säugetieren „vermutlich fünf Mal Mal so hoch liege. Kollisionen etwa mit Hase, Fuchs und Dachs würden zum Beispiel nur selten gemeldet, weil es meist keinen größeren Schaden am Auto gibt. „Sonst braucht der Autofahrer eine Wildunfallbescheinigung.“ Bei den DJV-Zahlen werden alle tot aufgefundenen Wildtiere, sogenanntes Fallwild, als Verkehrsopfer gewertet. „Das soll eine Vergleichbarkeit sicherstellen, weil die wenigsten Jagdbehörden der Bundesländer eine weitergehende Aufschlüsselung vornehmen“, erklärte Reinwald.

Nach Zahlen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) von Anfang November wurden den Versicherern im Kalenderjahr 2016 bundesweit sogar 264 000 Wildunfälle gemeldet, also rund 720 am Tag. Das waren laut GDV mehr als je zuvor. Mit fast 682 Millionen Euro erreichte demnach auch der Sachschaden einen Rekord.

Rein mit der Jagd ist das Problem offenbar nicht zu lösen

Ein neues Projekt soll die Straßen für Mensch und Tier nun sicherer machen. „Seit dem vergangenen Frühjahr können Verkehrsteilnehmer über das Tierfundkataster erstmals bundesweit Wildunfälle ortsgenau eintragen - auch per App“, sagte Reinwald. Bereits mehr als 40 000 Daten lägen unter www.tierfund-kataster.de vor. „Um etwas gegen die Unfälle zu tun, muss ich wissen, wo sie stattfinden und was die Ursache ist. Erst dann kann ich die Straßenabschnitte entschärfen.“

Ulrich Klaus Becker, ADAC-Vizepräsident für Verkehr, riet: „Der beste Schutz gegen Wildunfälle sind angepasste Geschwindigkeit und vorausschauendes Fahren.“ Besonders unfallträchtig seien unübersichtliche Wald- und Feldränder in der Dämmerung, warnen DJV und ADAC in einer neuen Broschüre. Die größte Gefahr droht demnach in der Morgen- und Abenddämmerung und bei Nacht und Nebel - vor allem auf neuen Straßen in Waldgebieten. Wer als Fahrer ein Tier am Straßenrand sieht, solle abblenden, hupen und bremsen. „Lenkrad festhalten, keine unkontrollierten Ausweichmanöver“, raten die Autoren.

Rein mit der Jagd sei das Problem nicht zu lösen, betonte Reinwald vom Jagdverband. „Möglichst viele Rehe totschießen, damit der Autofahrer freie Fahrt hat? Das ist eine Milchmädchenrechnung“, sagte er. „Solange es entlang einer Straße irgendwo einen reich gedeckten Tisch gibt, werden Rehe diesen regelmäßig besuchen.“ Deshalb sollten Straßenplaner für das Begleitgrün verstärkt auf Saatgutmischungen zurückgreifen, die Gräser und Kräuter mit vielen Bitterstoffen enthalten. „Das schmeckt dem Reh nicht.“ Manche Sträucher wie Eichen, Buchen oder Obstbäume wirkten allerdings geradezu wie Magneten für Pflanzenfresser und sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit lieber nicht am Straßenrand stehen.