Ein Schützenfisch schießt einen Wasserstrahl auf seine Beute ab.   Foto: dpa

Der Tierschutzaktivist Jonathan Balcombe plädiert für mehr Respekt gegenüber Fischen. Manche von ihnen hätten erstaunliche Fähigkeiten.

Stuttgart - F ische haben nach Ansicht von Jonathan Balcombe auch deshalb keine gute Lobby, weil sie im Gegensatz zu Landtieren nicht schreien können. Im Interview spricht der Wissenschaftler über die Bedrohung der Meerestiere durch den Menschen und über unser kompliziertes Verhältnis zu Nutz- und Haustieren.

Herr Balcombe, als Tierverhaltensforscher hat man die Auswahl zwischen sehr vielen Tierarten. Warum haben Sie sich für Fische entschieden?
Ich glaube, das hängt mit meinem Interesse an unpopulären und missverstandenen Geschöpfen zusammen. Tatsache ist, dass wir Fische wirklich schlecht behandeln. Es ist aber auch aus wissenschaftlicher Sicht hochinteressant, das Leben der Fische zu erforschen – wie sie denken, wie sie fühlen, ihr Sozialverhalten. Als populärwissenschaftlicher Autor möchte ich das Wissen über Fische auch Nichtwissenschaftlern zugänglich machen.
Warum haben Fische keine gute Lobby – weil sie nicht schreien?
Das ist sicher einer der Gründe. Wir hören sie nicht, weil ihre Laute sich nur unter Wasser ausbreiten. Sie leben quasi in einer anderen Biosphäre. Deshalb lösen sie nicht dieselben Sympathien aus wie Arten, die auf dem Land leben. Wir behandeln aber auch Kühe, Schweine oder Hühner schlecht. Doch Fische sind im Nachteil, weil sie sich unter der Oberfläche entwickelt haben – auch in Bezug auf unsere Wahrnehmung. Wir sehen nur ihr Habitat, aber nicht sie selbst. Allerdings wurden in den vergangenen Jahrzehnten Technologien entwickelt, die es uns erlauben, weiter in die Welt der Fische vorzudringen.
Wissenschaftler bezweifelten früher sogar, dass Fische Schmerzen empfinden.
Das stimmt. Aber das hat sich geändert, seit die Wissenschaft Fragen stellt, die sie lange nicht gestellt hatte. Bis auf wenige Ausnahmen sind sich Forscher heute einig, dass Fische sehr wohl Schmerzen spüren. Sie haben nicht nur die körperlichen Voraussetzungen dafür, sie verhalten sich auch so. Nachdem ich vier Jahre lang mit Fischen gearbeitet habe, bin ich überzeugt, dass sie aus moralischer Sicht den Tieren an Land ebenbürtig sind. Aber wir denken gerne hierarchisch. Wir glauben, dass Säugetiere am höchsten entwickelt sind – und dass Fische primitiv sind. Aber Fische leben schon viel länger auf der Erde als wir. Man könnte also auch sagen, dass sie höher entwickelt sind. Das ist eine Frage der Perspektive.
Warum sollten wir keine Fische essen? Fische fressen sich doch auch gegenseitig.
Fische haben aber keine andere Wahl. Der Hai wird als Hai geboren und muss andere Tiere fressen, um zu überleben. Als Mensch kann ich andere Tiere aufessen, aber ich muss nicht. Ich kann eine moralische Wahl treffen und entscheiden, mich von Pflanzen zu ernähren. Ich kann heute „Fleisch“ essen, das aus Pflanzen gemacht wurde. Man kann auch tierisches Gewebe im Labor züchten.
Und was machen wir mit den riesigen Flächen, auf denen kein Ackerbau möglich ist? Die lassen sich nur durch Viehwirtschaft sinnvoll nutzen.
Ich sehe in solchen Argumenten eine Rechtfertigung dafür, den Status quo aufrechtzuerhalten. Sogar die Vereinten Nationen sagen, dass eine Transformation zu einer pflanzenbasierten Ernährung viele Vorteile hätte. Auch für die Umwelt. Fleischproduktion verbraucht viel Energie. Deshalb gibt es weniger Löwen als Gazellen. Angesichts von sieben Milliarden Menschen auf der Erde ist es wichtig für die Gesundheit des Planeten, was wir essen. Und für unsere eigene Gesundheit. Unzählige Studien zeigen, dass weniger Fleisch das Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen, Krebs oder Schlaganfälle senkt.
Fisch gilt als gesund.
Dahinter würde ich ein Fragezeichen setzen. Fisch ist sehr fett und stark mit Pestiziden belastet. Aber mir geht es vor allem um die ethische Dimension. Die Methoden, mit denen wir Fische fangen, sind grausam.
Könnten Sie sich Methoden vorstellen, die aus ethischer Sicht tolerierbar wären?
Nicht wirklich. Auf längere Sicht müssen wir nach Wegen suchen, gar keine Fische mehr zu fangen. Aber das wird nicht morgen passieren. Deshalb sind schrittweise Verbesserungen wichtig. Wir haben seit 1970 die Hälfte des Meereslebens verloren.