Der Fall wird am Landgericht Heilbronn verhandelt. Foto: Bernd Weißbrod

Eine 24-Jährige Auszubildende zur Notfallsanitäterin hat Kollegen in Vaihingen/Enz (Kreis Ludwigsburg) heimlich Notfallmedikamente verabreicht. Nun offenbarte sie den Grund dafür.

Am fünften Verhandlungstag im Prozess gegen eine ehemalige Auszubildende zur Notfallsanitäterin, der vorgeworfen wird, mehreren Kollegen auf der Rettungswache in Vaihingen an der Enz gefährliche Medikamente in ihre Getränke gemischt zu haben, wurden zahlreiche Zeugen verhört. Die eigentliche Überraschung des Tages kam jedoch von der Angeklagten selbst – oder vielmehr von deren Anwalt, der in ihrem Namen eine Erklärung verlas.

 

Darin legte die 24-Jährige, die sich seit 30. Januar in Untersuchungshaft befindet, ein Teilgeständnis ab. Fünf Fälle zum Schaden von drei Kollegen werden ihr zur Last gelegt. Mit einem Fall habe sie „nichts zu tun und auch keine Erinnerung daran“. Dass das Getränk dieses Kollegen komisch geschmeckt habe, führte sie auf Probleme mit der Spülmaschine und Reste eines Spülmittels zurück. Als der Kollege deshalb ein angewidertes Gesicht gezogen habe, sei sie auf die Idee gekommen, „ihm eins auszuwischen“ – mit etwas, vor dem er sich ekele. Tatsächlich mischte sie in die Trinkflasche, von der sie irrtümlich glaubte, sie gehöre diesem Kollegen, Atropin – ein Mittel, das unter anderem dazu eingesetzt wird, zu langsamen Herzschlag zu beschleunigen, bei gesunden Menschen jedoch gefährliche Auswirkungen hat.

„Wollte niemandem ernsthaft schaden“

Wegen der Verwechslung traf es einen Kollegen, mit dem sie immer gut ausgekommen sei und dem sie nie etwas habe antun wollen. Diese Tat räumte sie ebenso ein wie drei weitere, betonte aber, sie habe nicht die Absicht gehabt, den Kollegen schweren, dauerhaften Schaden zuzufügen oder gar deren Tod in Kauf zu nehmen. Das sei mit ihrem christlichen Glauben nicht vereinbar.

Weil sie große Angst gehabt habe, die Ausbildung nicht zu schaffen, sich vor „weiteren Beleidigungen und Diskriminierungen“ durch ihren Ausbilder gefürchtet und zudem Angst um ihre erkrankte Mutter gehabt habe, habe sie lediglich gewollt, dass sich dieser Ausbilder „mal so richtig schlecht fühlt“. Als er wieder auf ihrem Freund „herumgehackt und sie beleidigt“ habe, sei sie „auf die verrückte Idee gekommen, Atropin in sein Getränk zu tun“. Sie habe jedoch „nicht überblickt und vorhergesehen, was die Medikamente bei ihm verursachen können.“ Eine Zeugin sagte allerdings aus, die Wirkungen von Atropin würden seit dem ersten Lehrjahr immer wieder und immer intensiver behandelt. Die Angeklagte befand sich zum Tatzeitpunkt im dritten Lehrjahr.

Entsetzen über Anklage und Angebot von Schmerzensgeld

Wie auch immer: Das Ganze tue ihr „unendlich leid. Bei klarem Verstand hätte ich eine solche Aktion niemals durchgeführt“, hieß es weiter in der Erklärung der jungen Frau. Den Geschädigten bot sie ein Schmerzensgeld von 2500 Euro an, für das sie ihre Eltern um einen Kredit bitten wolle. Auch entschuldigte sie sich, wobei in einem Fall die Entschuldigung mit Einschränkung vorgebracht wurde und bei einem Kollegen ganz ausblieb, wie dessen Anwalt kritisch anmerkte.

Weiter ließ die Angeklagte mitteilen, die Anklage wegen versuchten Mordes habe sie ebenso entsetzt wie die Presseberichterstattung, welche Freunde und Familie in ein schlechtes Licht gerückt habe. Dafür wolle sie sich ebenfalls entschuldigen.

Psychische Probleme und Flucht vor der Realität durch Medikamente

Die geladenen Zeuginnen aus dem beruflichen und privaten Umfeld der Angeklagten unterstrichen mehr oder weniger den Eindruck, den schon frühere Zeugenaussagen von der jungen Frau vermittelt haben. Schüchtern, sehr zurückhaltend, wenig kommunikativ, aber wohl auch freundlich – und auch, dass sie bei der Arbeit immer wieder abwesend und stark verlangsamt gewirkt habe, wurde bestätigt. Die Angeklagte ließ erklären, sie habe „unglaublich große Angst und Panikattacken“ gehabt. Mit den auf der Rettungswache gestohlenen Medikamenten habe sie sich „einfach wegschießen und vor der Realität entfliehen“ wollen.

Bei ihrer Festnahme, sagte eine Polizistin aus, habe sich die Angeklagte „zu Boden fallen lassen“, hyperventiliert und sich nur schwer beruhigen lassen. Bei dieser Gelegenheit habe deren Mutter gesagt, ihre Tochter befinde sich in psychologischer Behandlung. Ein weiterer Polizist sagte aus, die Angeklagte habe bei ihrer Verhaftung immer wieder – wie zu sich selbst – wiederholt: „Ich wollte nie jemanden umbringen.“ Eine Zeugin aus dem privaten Umfeld berichtete, der Partner der jungen Frau, zu dem sie lange Jahre ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt habe, habe ihr erzählt, die psychischen Probleme seien wohl auf ein ihr unbekanntes einschneidendes Erlebnis in der Schulzeit zurückzuführen.

Verteidiger will verminderte Schuldfähigkeit beweisen

Psychische Probleme waren auch der Anlass für den Verteidiger der Angeklagten, zum Ende der Verhandlung die Vorladung der behandelnden Psychotherapeutin zu verlangen. Dabei gehe es um den Beweis, dass die Angeklagte zu den Tatzeitpunkten unter erheblichen psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe – Panikattacken, Depression, möglicherweise einer Borderline-Störung oder Schizophrenie. Damit könne die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigt sein. Die behandelnde Ärztin habe auf eine Anfrage der Gerichtsgutachterin nicht reagiert. Ihre Vernehmung sei jedoch „für ein faires Verfahren unabdingbar.“