Schmuddelecken im Stadtgarten. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Grünanlagen bei der Uni waren einst ein beliebtes Ausflugsziel. Heute wirken sie verloren. Höchste Zeit, dass der Gemeinderat den Bürgerpark im Herzen der Stadt wieder belebt, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Wohlfühlorte und -plätze gibt es etliche in dieser vielgesichtigen Stadt. Vornweg der Schlossplatz, wo das Historische Volksfest eine Woche lang Menschen angezogen und begeistert hat. Oder der wieder hergerichtete Park der Villa Berg samt Pergula, Springbrunnen und Rosengarten, von dem Bezirksvorsteherin Tatjana Strohmaier sagt, es sei „der schönste Ort im Stuttgarter Osten“.

Es gibt allerdings auch städtische Anlagen, um die man einen Bogen macht. Dazu gehört – ausgerechnet! – der zwischen den Uni-Hochhäusern und der Uni-Bibliothek gelegene Stadtgarten, einstmals ein Aushängeschild Stuttgarts. Ein kleines, blasses Schild an der Schellingsstraße erinnert daran, dass der 1871 angelegte Stadtgarten „einer der ersten Bürgerparks“ war. „Heute ist er Teil des Universitätsviertels.“ Das ist alles, was man erfährt. Ein weiteres Beispiel für die rätselhafte Selbstverleugnung der Stadtgeschichte. Stuttgart, mit einem großartigen Stadtarchiv und einem neuen Stadtmuseum gesegnet, spart mit historischen Erläuterungen im öffentlichen Raum. Immerhin wird der von den Nazis 1938 hingerichteten Widerstandskämpferin Lilo Hermann im Stadtgarten mit einem Stein gedacht.

Charme eines Gleisvorfelds

Die karge Beschreibung der Örtlichkeit passt insofern ins Bild, als der Stadtgarten, der auch die Funktion eines Uni-Campus hat, selbst ein Ausdruck von Lieblosigkeit ist. Das Gelände, das mit seinen Anlagen, darunter einem Weinhaus, früher zu den beliebtesten Ausflugszielen der Stuttgarter zählte, hat trotz vorhandenen Grüns den Charme eines Gleisvorfelds. Daran ändern auch einige Statuen, Blumenkübel, Sportvorrichtungen und ein Taubenturm nichts. Der Gesamteindruck ist der eines verschenkten Platzes mit Schmuddelecken. Besonders rund um die klotzigen Betonbrunnen, die nach dem Krieg auf- und längst abgestellt wurden. Sie sind mit Sand verfüllt und häufig vermüllt. Diese Art der Gastlichkeit zieht vorzugsweise Ratten an, die – wie jetzt bundesweit zu lesen war – große Bestände der angrenzenden Unibibliothek zerstört haben: 8000 Bücher im Wert von rund 200 000 Euro.

Eines der größten Mysterien der Stuttgarter Kommunalpolitik

Klar ist: Einen Stadtgarten stellt man sich anders vor. Und es gibt längst konkrete Vorstellungen davon, wie er aussehen müsste, um einladend zu sein. Es gibt auch viele Fürsprecher einer Neugestaltung – vom Uni-Rektor bis zur Bezirksvorsteherin. Die Stadtverwaltung versichert ihrerseits, den peinlichen Zustand im Herzen der Stadt verändern zu wollen. Trotzdem geschieht, abgesehen von kosmetischen Veränderungen, nichts. Und das seit bald 30 Jahren, was eines der größten Mysterien der Kommunalpolitik in Stuttgart darstellt. Jeder sieht, dass die Landeshauptstadt an diesem Ort akuten Verschönerungsbedarf hat. Warum fällt das Thema bei den Haushaltsberatungen dann jedes Mal durch?

Vielleicht helfen die Ratten in der Uni-Bibliothek den zaudernden Stadträten jetzt auf die Sprünge: Aus dem Schmuddelgarten in der City muss endlich wieder ein Stadtgarten werden, der diesen Namen verdient.

jan.sellner@stzn.de