Durchkommen unmöglich, dachten die Polizisten. Sie irrten sich. Foto: dpa

Laut Staatsanwaltschaft wollte ein 28-Jähriger auf der Flucht eine Polizistin überfahren. Der Angeklagte ist ein Serien-Straftäter.

Mötzingen - Diesmal lag ein gestohlener Zigarettenautomat im Auto. Der Fahrer floh auf einem Feldweg. Ein Streifenwagen folgte ihm. In der Luft ratterte ein Hubschrauber über dem Audi A 6. Alle Versuche, die Flucht zu stoppen oder den Audi zu überholen, waren gescheitert. In Mötzingen sollte die Jagd beendet sein. Dort stand ein Streifenwagen quer über der Straße, Durchkommen unmöglich, dachten die Polizisten. Sie irrten sich.

Wegen jener Nacht des 26. Februar sitzt der 28-jährige Audi-Fahrer vor dem Landgericht Stuttgart. Der schwerste Vorwurf gegen ihn lautet Mordversuch. Er durchbrach die Sperre durch eine Lücke, durch die gleich darauf der Streifenwagen hinter ihm sich nur im Schritttempo zwängte. Laut Anklage hat der 28-Jährige dabei mindestens in Kauf genommen, dass er eine Polizistin überfahren könnte, die in seinem Weg stand. Sein Wagen soll dabei noch etwa 50 Stundenkilometer schnell gewesen sein. Der Angeklagte beteuert, er habe keine Polizistin gesehen, nur die Lücke.

Der Angeklagte wurde schon als Jugendlicher aktenkundig

Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf und der Tätowierung am Hals ist bei Gericht bestens bekannt. Im Alter von 15 Jahren wurde er erstmals aktenkundig, wegen Diebstahls und Fahrens ohne Führerschein. Der Jugendliche stahl in einem Rhythmus Mopeds, in dem andere Taxis rufen. Auch mehrere Einbrüche täglich waren keine Seltenheit. Zwölfmal wurde der 28-Jährige inzwischen verurteilt, zuletzt wegen Beihilfe zum Raub. Er fuhr den Fluchtwagen bei einem Überfall auf eine Tankstelle. Das Fahren ohne Führerschein zieht sich durch nahezu alle Urteilsbegründungen. Er besitzt noch heute keinen. So regelmäßig wie der Angeklagte ins Gefängnis musste, wurde die Haft abgebrochen und neuerlich zur Bewährung ausgesetzt. Der letzte Richter, der eine solche Entscheidung fällte, würzte sie mit einem Verbot, Alkohol und Drogen zu konsumieren.

Die 26-jährige Polizistin schildert das Geschehen jener Nacht so: Der Kollege stellt den Streifenwagen quer auf der Straße ab. Als sie aussteigen, kommen die Scheinwerfer schon in Sicht. Das Blaulicht blitzt. Der Audi fährt ungebremst auf die Straßensperre zu. Sein Fernlicht blendet. Der Kollege steht hinter einer Hauswand, sie neben einem Bauzaun. Der Audi zieht von der Straßenmitte in ihre Richtung. Sie zieht ihre Waffe und richtet den Lauf zum Boden, weil ein Schuss ausgeschlossen ist. Er könnte die Polizisten im Streifenwagen hinter dem Verfolgten treffen. In der gleichen Bewegung tritt sie zwei Schritte zurück. Unter ihren Füßen knirscht der vereiste Boden, dann spürt sie schon den Luftzug. Der Audi verfehlt sie um eine Armlänge. Im Augenblick des Vorbeifahrens glaubt sie zu sehen, dass der Fahrer lacht. Sie sieht dem Audi hinterher, spricht ein, zwei Sätze mit dem Fahrer des Streifenwagens.

Bilder vom Ort des Geschehens bringen keinen Aufschluss

Ein Gutachter will wissen, ob ihre Jacke geöffnet oder geschlossen war. Womöglich waren die Reflektoren verdeckt. Die Polizistin holt eigens die Jacke aus dem Streifenwagen, zieht sie an und erklärt noch, wie trotz geschlossenem Reißverschluss die Waffe gezogen wird. Bilder vom Ort des Geschehens bringen keinen letzten Aufschluss. Die Polizei hatte in jener Nacht anderes zu tun. Sie verhaftete den Audi-Fahrer und einen Komplizen. Erst tags darauf stellten die Beamten die Szene für Fotos nach. Eindeutige Beweise fehlen ohnehin. Wie sollte bewiesen werden, ob der 28-Jährige die Polizistin ge- oder übersehen hatte?

Unstrittig ist, woher der Zigarettenautomat im Audi stammte. Der Angeklagte hatte ihn mit einem Komplizen in Gäufelden von der Wand gebrochen und im Wald geknackt. 1800 Euro plus Zigaretten waren die Beute. Der 28-Jährige hat die Tat genauso gestanden wie weitere Automatenaufbrüche. Gegen seinen Mittäter wird gesondert verhandelt. Er hat offenbar weniger kriminelle Erfahrung. Auf der Fahrt ins Revier war er in Tränen ausgebrochen. Das Urteil wegen des Mordversuchs soll am 18. Oktober gesprochen werden.