Gefährliche Freunde: Flüchtlinge, hier im März in der Landeserstaufnahmestelle Karlsruhe, werden immer wieder von Salafisten umworben. Foto: dpa

Sie kommen als Helfer und wollen doch nur ihre krude Ideologie verbreiten: Der Verfassungsschutz beobachtet vermehrt, wie Islamisten Flüchtlinge umwerben. Bundesweit gibt es dafür 300 Hinweise – Dutzende auch im Südwesten.

Stuttgart - Flüchtlinge werden in Deutschland zunehmend Opfer von extremistisch eingestellten Muslimen. „Auch in Baden-Württemberg gibt es Hinweise, dass islamistische Organisationen und Einzelpersonen begonnen haben, in Aufnahmeeinrichtungen untergebrachte Flüchtlinge für eigene Belange und Ziele anzuwerben“, sagte am Freitag Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichts 2015. So habe es im vergangenen Jahr 30 Kontaktaufnahmen gegeben, die dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) bekannt wurden. Auch in diesem Jahr weiß die Behörde von einem Dutzend solcher Aktionen. Bundesweit liegen den Geheimdiensten 300 Hinweise darauf vor.

Laut LfV-Chefin Beate Bube umwerben die Islamisten und Salafisten die Flüchtlinge unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe. Mal werde der Koran verteilt, mal werde zum Besuch einer Moschee eingeladen. Daneben hat die Behörde Erkenntnisse, dass Dschihadisten als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland gekommen sind. Im Südwesten gingen bisher 46 solcher Hinweise ein. Mit der Broschüre „Extremismus erkennen“, die das Landesamt seit März an die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften verteilt, sollen deshalb Menschen, die mit Flüchtlingen arbeiten, für die Aktivität von Islamisten sensibilisiert werden.

In Baden-Württemberg soll es 120 gewaltbereite Salafisten geben

Strobl sieht im Salafismus, also der ultrakonservativen Strömung des Islam, den ideologischen Nährboden des islamistischen Terrorismus: „Dieser ist auch in Baden-Württemberg eine weiter wachsende Bewegung.“ Etwa 3430 Islamisten sind im Fokus des Landesverfassungsschutzes, zur salafistischen Szene werden etwa 600 Personen gerechnet. 120 von ihnen gelten als gewaltbereit. „Wir haben eine Terrorlage – auch in Stuttgart“, sagte Strobl. Deshalb hätten Grüne und CDU im Koalitionsvertrag vereinbart, das Landesamt personell und finanziell zu stärken.

In Atem gehalten werden die mehr als 340 Mitarbeiter des Landesamts auch durch Rechts- und Linksextremisten. Zwar ist die Zahl der Menschen, die diesen Spektren zugeordnet werden, im vergangenen Jahr kaum gewachsen – die Behörde geht von 1800 Rechts- und 780 Linksextremisten aus. Stark zugenommen hat jedoch die Zahl der von beiden verübten Gewalttaten. Landesweit wurden laut Behördenchefin Bube 1484 rechtsextremistisch motivierte Straftaten registriert – im Jahr zuvor waren es noch 865 gewesen. Die Zahl der Gewalttaten hat sich mit 71 Delikten sogar verdreifacht. Die Zahl linksextremistischer Straftaten stieg von 496 auf 522, die der Gewalttaten von 78 auf 135.

„Die meisten davon wurden auf Demonstrationen verübt“, sagte Strobl. So hätten sich am Protest gegen die Eröffnung des Gebäudes der Europäischen Zentralbank im März 2015 in Frankfurt rund 350 gewaltorientierte Linksextremisten aus Baden-Württemberg beteiligt. Auch der NPD-Parteitag im vergangenen November in Weinheim war eskaliert – wobei auch 18 Polizeibeamte verletzt wurden.

Strob zeigt sich besorgt über Kurdische PKK

Eine dramatische Entwicklung zeigt sich bei den Anschlägen gegen Asylunterkünfte: Im Jahr 2015 wurden gegenüber dem Vorjahr fünf Mal so viele Straftaten verübt. Von den bundesweit 1031 Anschlägen waren 70 in Baden-Württemberg zu verzeichnen. „Häufig genügt offenbar als Tatmotivation, dass eine Asylunterkunft in unmittelbarer Nachbarschaft errichtet werden soll“, sagte Strobl. Solche Straftaten hätten selten eine tiefere ideologische Verwurzelung. Eine zentrale Steuerung der fremdenfeindlichen Übergriffe durch rechtsextremistische Organisationen sei bislang jedenfalls nicht erkennbar. Die aggressive Agitation sei aber Konsens im ansonsten heterogenen rechtsextremistischen Spektrum.

Die Forderung der Jungsozialisten, die auch im Landtag vertretene Partei AfD geheimdienstlich beobachten zu lassen, wies Strobl zurück: „Darüber entscheide nicht ich.“ Das Landesamt für Verfassungsschutz sei eine Behörde, kein politisches Kampfinstrument. Bube teilte mit, die AfD sei weder in Baden-Württemberg noch in einem anderen Land und im Bund Beobachtungsobjekt. Das bedeute aber nicht, dass man nicht kontinuierlich prüfe, welche Kontakte die Partei zur rechtsextremen Szene pflege und wie weit ihre „Systemopposition“ gehe. Strobl: „Wenn es antidemokratische Äußerungen geben sollte, wird das sicher nicht ignoriert.“

Besorgt äußerte sich der Innenminister auch über die Entwicklung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zwar habe er momentan keine Hinweise, dass die PKK den aktuellen Konflikt zwischen türkischen Nationalisten und PKK-Anhängern in Deutschland anheize. Strobl: „Allerdings fällt es der Organisation immer schwerer, ihre jugendlichen Anhänger unter Kontrolle zu halten, weil diese sich stärker für die Belange der Kurden als Ethnie engagieren wollen.“