Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (links) und Bundesinnenminister Horst Seehofer haben am Donnerstag den neuen Verfassungsschutzbericht vorgestellt. Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Der neue Verfassungsschutzbericht zeigt, dass die Gesellschaftsordnung bedroht ist wie nie zuvor – von ganz verschiedenen Seiten. Unser Korrespondent Christopher Ziedler meint aber auch, dass jeder Einzelne etwas dagegen tun kann.

Berlin - Jeder Summand stellt schon für sich eine Gefahr dar, in der Summe ist die Demokratie in diesem Republik bedroht wie nie zuvor. Einen anderen Schluss lässt der jüngste Verfassungsschutzbericht, den Bundesinnenminister Horst Seehofer am Donnerstag vorgestellt hat, kaum zu. Alle Gruppen, die die bestehende staatliche Ordnung destabilisieren, überwinden oder zu Fall bringen wollen, sind aktiver als in den Vorjahren, zahlenmäßig gewachsen und bestens vernetzt. Es ist wichtig, sich dieser Gesamtsituation bewusst zu sein, innerhalb derer es natürlich inhaltliche Abstufungen und politische Dringlichkeiten gibt. Nur weil aktuell der Rechtsextremismus besonders im Fokus steht, heißt das beispielsweise nicht, dass Islamisten plötzlich ihren Frieden mit dem Rechtsstaat gemacht hätten.

 

Völlig zu Recht erfahren antisemitische, rassistische wie rechtsextreme Hetzer und Gewalttäter derzeit die größte Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Endlich, möchte man sagen, da die Zahlen der Straftaten und des Milieus insgesamt weiter steigen. Es ist uneingeschränkt zu begrüßen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz unter dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang nicht mehr auf dem rechten Auge blind ist, wie das zu Zeiten seines geschassten Vorgängers Hans-Georg Maaßen der Fall zu sein schien. Das Amt nimmt sich auch nicht mehr nur der Täter an, sondern auch der geistigen Brandstifter im Hintergrund – das gilt für die Neue Rechte im Allgemeinen und den sogenannten „Flügel“ der AfD im Speziellen.

Die Institutionen werden unterwandert

Wie weit sich der bewusst geschürte Hass teilweise schon verbreitet hat, veranschaulichen nicht zuletzt die teils offengelegten rechtsextremen Strukturen im staatlichen Sektor selbst. Beispiele dafür gab es in jüngster Zeit genug. Es ist gut, wenn nun noch vor dem Herbst ein Bericht über das extremistische Potenzial in den Sicherheitsbehörden selbst veröffentlicht werden soll. Die Unterwanderung von Institutionen ist ein historisch bewährtes Instrument aller Feinde der Demokratie. Sie muss sich wehren.

Diese Ansage muss auch deshalb für alle ihre Gegner gelten, damit der Staat nicht in Verdacht gerät, dass ihm manche Verfassungsfeinde lieber sind als andere. Auch wenn Links- im Gegensatz zu Rechtsextremisten im Berichtsjahr 2019 niemanden ermordet haben, so beobachtet das Kölner Bundesamt doch eine zunehmende Gewaltbereitschaft nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen, der es ebenfalls entschieden entgegenzutreten gilt. Dass religiöse Fanatiker eine nachzulassende Aufmerksamkeit der Behörden auszunutzen wüssten, darf ebenfalls als sicher gelten. Islamistische Terrororganisationen fühlen sich wegen des zurückgegangenen öffentlichen Interesses geradezu unter „Zugzwang“ wieder zuzuschlagen, wie Verfassungschef Haldenwang berichtet hat. Im Netz agitieren sie wie eh und je.

Das Ziel ist die Klimavergiftung

Die Demokratie steht somit unter Dauerbeschuss von verschiedenen Seiten. Gefährlich ist vor allem die Vergiftung des demokratischen Diskurses, die durch Falschinformationen von Extremisten, zum Teil unterstützt von ausländischen Diensten, bewusst angestrebt wird, um die gesellschaftliche Spaltung noch zu befördern - im Zuge der Corona-Pandemie mit ihren weitreichenden, auch hochumstrittenen politischen Entscheidungen gilt das erst recht.

Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang lautet, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Dazu zählt nicht, ständig die Regierung zu preisen oder jeden Streit zu unterlassen, im Gegenteil, davon lebt eine Demokratie. Wichtig ist aber sich bewusst zu machen, dass immer mehr Kräfte diesen Streit immer weiter eskalieren sehen wollen. Wer das weiß, wird manch hysterische Debatte, die in den vermeintlich sozialen Netzwerken geführt wird, möglicherweise anders beurteilen.