Sinan Selen soll beim Bundesamt für Verfassungsschutz aufsteigen. Foto: BDK

Der türkischstämmige Sinan Selen soll Vize-Präsident des Verfassungsschutzes werden. Im Internet wird gegen ihn gehetzt. Der Jurist wird sowohl von rechter, aber auch von linker Seite angegriffen.

Berlin - Die mögliche Ernennung von Sinan Selen zum Vizechef des Bundesamtes für Verfassungsschutz schlägt hohe Wellen. Neben AfD-Politikern sind es vor allem rechte Trolls, die den Beamten rassistisch beschimpfen. Aber auch Linke teilen gegen Selen aus.

Der 46-Jährige wurde in Istanbul geboren und kam als Vierjähriger nach Deutschland. Selen hat Jura in Köln studiert und arbeitete beim Bundeskriminalamt in der Abteilung für Staatsschutz. Als 2006 ein Bombenanschlag auf zwei Regionalzüge im Rheinland scheiterte, wurde der Jurist damit beauftragt, die Fahndung nach den flüchtigen Terroristen zu leiten. Die Männer konnten gefasst und verurteilt werden.

Im Bundesinnenministerium war Selen für die Zusammenarbeit mit den türkischen Sicherheitsbehörden zuständig. Er wechselte 2016 in die Privatwirtschaft, wo er Leiter der Konzernsicherheit beim Reiseriesen Tui war – nun soll er von dort in den Staatsdienst zurückkehren. Nach Medienberichten soll sich das Bundeskabinett nächsten Mittwoch mit der Personalie beschäftigen. Das bedeutet, dass die Präsidentin der baden-württembergischen Verfassungsschützer, Beate Bube, nicht wie zuvor spekuliert in die Führung des Bundesamtes wechselt, sondern in Stuttgart bleibt.

Stellenbesetzung mit Selen wäre eine Premiere

Nie zuvor war ein Kind türkischer Einwanderer in der Spitzenposition einer deutschen Spitzenbehörde – doch seitdem Mitte November bekannt wurde, dass Selen für den Posten gehandelt wird, wird der Jurist im Internet verleumdet. Dort kursieren Fotomontagen, auf denen Selen einen Fes trägt – eine früher im Orient weitverbreitete Kopfbedeckung. „Der Feind hört mit. Ab sofort wissen Erdogan und die übrige islamische Welt alle Internas des deutschen Geheimdienstes“ ist zu lesen.

Der frühere Journalist Oliver Janich hat auf Youtube ein Video veröffentlicht, in dem er behauptet, Selen habe die Stelle auf Wunsch Ankaras erhalten. Das Video wurde rund 25 000-mal geklickt, die Kommentare darunter sind eindeutig: „Wir Deutschen, wir echten Deutschen sollen ausgemerzt werden. Unsere Vernichtung ist beschlossene Sache“, schreibt ein Kommentator. Der AfD-Politiker Johannes Huber postete auf Facebook eine Fotomontage mit einem Hotel drauf, das Logo von Tui und den Satz: „Muslim wird neuer Verfassungsschutz-Vize der BRD“. Der Post wurde gelöscht.

Die Attacken gegen Selen kommen auch von der Gegenseite: „Für alle Linken türkisch-kurdischer Herkunft dürfte die Personalie Selen eine Hiobsbotschaft sein“, kommentierte die Tageszeitung „Junge Welt“. Nikolaus Brauns, Mitarbeiter der Linkspartei-Politikerin Ulla Jelpke, geht noch weiter: „Die Befürchtungen, wonach es nun zu einer noch schärferen Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung und türkeistämmiger Revolutionäre kommen könnte, ist allerdings realistisch“, schreibt er über Selen. „Dies entspricht der Logik der primär an wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen orientierten Beziehungen zwischen den herrschenden Klassen Deutschlands und der Türkei.“

Attacken von rechts wie links

Was die mögliche Ernennung Selens mit dieser These zu tun hat? Und warum der Autor in seinem Gastbeitrag Selen nur in Anführungsstrichen als Terrorismusexperte bezeichnet? Am Telefon wirkt Brauns nervös, er rudert zurück: „Wir finden vieles nicht terroristisch, was die Bundesregierung für terroristisch hält. Zum Beispiel die PKK“, erklärt Brauns die Anführungsstriche, der Selen für einen „Agenten“ hält, und schiebt hinterher: „Herr Selen soll diese Stelle sicher auch deswegen bekommen haben, weil er einen türkischen Hintergrund hat. Es gibt auch andere qualifizierte Mitarbeiter, da spielte das eine Rolle als Alleinstellungsmerkmal.“

Selen selbst hat sich bisher nicht zu den Online-Verleumdungen geäußert. In der deutschen Online-Ausgabe der türkischen Tageszeitung „Daily Sabah“ wird hingegen gejubelt: „Nach den Skandalen um den Verfassungsschützpräsidenten Hans-Georg Maaßen und dem umstrittenen NSU-Prozess wird Selens Ernennung zum Vize als wichtiger Schritt betrachtet.“