Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag ein Stück Geschichte geschrieben. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Am Beispiel der Anleihenkäufe zeigt sich das fragile Verhältnis zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof. Karlsruhe nutzt eine Hintertür, um den Kollgen in Luxemburg ihre Grenzen aufzuzeigen.

Karlsruhe - Es ist ein fragiles, ein spannendes und oft auch ein spannungsgeladenes Verhältnis, das da zwischen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg besteht. Die Gerichte befinden sich nicht in einem Über- oder Unterordnungsverhältnis. Die Beziehungen sind geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme. Das birgt Gefahren, wie im Fall der Staatsanleiheprogramme. Deren Vorgeschichte reicht zurück bis in das Jahr 2014.

Im Januar vor sechs Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht erstmals dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es ging um ein Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) namens Outright Monetary Transactions (OMT). Der EuGH entschied ein Jahr später, dass das OMT-Programm von der Zuständigkeit der EZB gedeckt ist – und nicht gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt. Die Bedenken des Bundesverfassungsgerichtes wurden nur teilweise aufgegriffen.

Bisher gab es keinen offenen Konflikt

Nun war das Bundesverfassungsgericht wieder am Zug. Gegen die Luxemburger Entscheidung machte Karlsruhe zwar „erhebliche Einwände“ geltend, doch da der EuGH auch entschieden hatte, dass die EZB grundsätzlich einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt, scheuten die Karlsruher Richter damals den offenen Konflikt. Am 21. Juni 2016 fanden sie einen Weg, die verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Rechtskreise in Übereinstimmung zu bringen.

Das aktuelle PSPP-Verfahren knüpft an diese Entscheidungen an. Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht darauf verzichtet, europäische Rechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes zu prüfen, so lange es in der Union vergleichbare Grundrechte gibt. Ein Hintertürchen hat sich das Gericht stets offen gehalten. Sollte der EuGH willkürlich entscheiden oder anerkannte methodische Grundsätze ignorieren, dann sieht sich Karlsruhe nicht an EuGH-Urteile gebunden. Dazu ist es nun gekommen. Es soll, so Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, die „absolute Ausnahme“ bleiben. Doch die Mitgliedsstaaten könnten als „Herren der Verträge“ nicht vollständig auf diese Art der Kontrolle verzichten.

Einmalige Entscheidung

Am 18. Juli 2017 hatte das Verfassungsgericht dem EuGH erneut mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit Urteil vom 11. Dezember 2018 hatte der EuGH entschieden, dass das PSPP-Programm nicht über das Mandat der EZB hinausgeht und auch sonst keine Bedenken entgegenstehen. Mit diesem Urteil im Gepäck verhandelte Karlsruhe im Juli des vergangenen Jahres erneut über das Anleihenprogramm – und kam nun am Dienstag zu der bisher einmaligen Entscheidung, den Kollegen in Luxemburg nicht folgen zu wollen.