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Auf Landesebene ist es noch nie zu eine Volksabstimmung gekommen. Das soll sich ändern.

Stuttgart - In den Gemeinden nehmen die Bürger ihren Vertretern gern mal das Heft aus der Hand: Plebiszite sind dort gang und gäbe. Auf Landesebene jedoch sind die Hürden so hoch, dass es bisher noch nie zu einer Volksabstimmung kam. Das wollen SPD, Grüne und sogar die Liberalen ändern. Doch die Union zieht nicht mit.

Eigentlich hat der Vorstoß von SPD und Grünen zu einer Verfassungsänderung nichts mit Stuttgart 21 zu tun. Dass es in Baden-Württemberg einfacher werden soll, das Volk über politische Fragen abstimmen zu lassen, fordern sie seit Jahr und Tag.

Dennoch bestärkt der Stuttgarter Protest die Opposition in ihrer Meinung, dass Parlamentsbeschlüsse viel öfter von direkten Volksabstimmungen flankiert werden sollten. Deshalb wirbt sie jetzt erneut dafür, die Hürden vor Volksbegehren zu senken.

Demokratie aus verstaubten Dasein holen

Was die Landesverfassung dem Bürger bisher an Mitwirkungsrechten bietet, nennt der SPD-Abgeordnete Rainer Stickelberger eine "Beteiligung auf dem Papier". Mindestens ein Sechstel der 7,5 Millionen Wahlberechtigten, das sind 1,25 Millionen, muss sich nämlich binnen zwei Wochen in amtliche Listen eintragen. Erst dann kann es zur eigentlichen Volksabstimmung kommen, für die weitere Hürden gelten.

SPD und Grüne wollen die Zugangshürde deshalb auf fünf Prozent senken: "375.000 Bürger sind immer noch sehr viel", sagte Stickelberger im Landtag. Außerdem schlagen SPD und Grüne das Zusatzinstrument einer Volksinitiative vor: 10.000 Unterschriften sollen reichen, damit der Landtag sich mit "Gegenständen der politischen Willensbildung" befassen muss.

"Wir brauchen die Maßnahmen, um die Demokratie aus ihrem verstaubten Dasein herauszuholen", sagte der Grünen-Abgeordnete Uli Sckerl unter dem wütenden Protest von CDU und FDP. Das repräsentative System stamme aus der Gründerzeit der Republik und habe sich verbraucht. Sckerl: "Hören Sie die Zeichen der Zeit, sonst werden Sie schweren Zeiten entgegengehen."

An schwere Zeiten der Vergangenheit erinnerte indes der CDU-Abgeordnete Winfried Mack. Die Weimarer Republik habe die Väter und Mütter der Landesverfassung veranlasst, gerade sparsam mit direkten Demokratieelementen umzugehen, so sein Argument: "Wir sind 57 Jahre mit der repräsentativen Demokratie gut gefahren."

Auch FDP will Hürden für Volksbegehren senken

Auch die Schweiz, von SPD und Grünen gern als Musterland für Plebiszite gepriesen, kann den CDU-Abgeordneten nicht von den Vorzügen von Volksabstimmungen überzeugen. Das vor einigen Monaten beschlossene Minarettverbot ist für Mack ein Negativbeispiel: "Direkte Demokratie fördert Polemik und Populismus."

Die Abstimmungsergebnisse würden außerdem nicht immer akzeptiert und führten keineswegs automatisch zur Befriedung, gab Mack zu bedenken - und sein FDP-Kollege Hagen Kluck ergänzte, die Grünen protestierten gegen den Bau einer Stadthalle in Reutlingen, obwohl sich 66 Prozent der Bürger in einer Befragung dafür ausgesprochen hätten.

Nein, die CDU hält nichts von niedrigeren Hürden für Volksbegehren, erneuert aber ihren Vorschlag, die Vorgaben für die Volksabstimmungen etwas zu erleichtern: Bisher ist ein Gesetz nämlich erst dann beschlossen, wenn es einerseits die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht, andererseits aber auch mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt. Dieses Quorum soll auf ein Viertel gesenkt werden.

Auch FDP will Hürden für Volksbegehren senken

Und selbst das muss sich der Innenminister offenbar abringen. "Warum sind wir nicht in der Lage, Verfassungsfragen von den Aufgeregtheiten der Alltagspolitik zu trennen?", fragte Heribert Rech mit Blick auf die Stuttgart-21-Proteste. Verfassungsfragen sollten nicht in solchen Zeitläuften diskutiert werden.

Nicht, dass sämtliche Artikel sakrosankt seien, schränkte der CDU-Politiker ein. Aber für Änderungen müssten wichtige Gründe vorliegen. Rech: "Die Verfassung lebt von ihrer Beständigkeit." Notwendig sei nicht vorrangig ein punktuelles Engagement der Bürger, sondern dass diese die Gesamtverantwortung im Auge behielten. "Wir alle sollten uns dem Sog der Stimmungsdemokratie entziehen", sagte Rech und mutmaßte, die Stuttgarter Protestszene lege es auf eine Abschaffung der repräsentativen Demokratie an.

"Wir haben nichts gegen plebiszitäre Elemente in vernünftigem Umfang", warb CDU-Mann Mack noch einmal für den kleinen Reformvorschlag seiner Fraktion - doch das reicht SPD und Grünen nicht. "Aus Ihren Beiträgen spricht die nackte Angst vor dem Bürger", sagte SPD-Mann Stickelberger. Bayern habe doch auch nicht unter den großzügigen Regelungen für eine direkte Demokratie gelitten. "Wir orientieren uns an Verfassungen in Ländern, in denen die CDU regiert", ergänzte Sckerl, "das ist doch nichts Weltfremdes."

Nicht einmal die Liberalen hätten etwas gegen weitere Erleichterungen einzuwenden. "Die FDP fordert im Landtagswahlprogramm eine Senkung der Hürden für Volksbegehren", sagte der Abgeordnete Hagen Kluck. "Doch leider verfügen wir in diesem Haus über keine Mehrheit."

Doch deswegen gar nicht verändern? Nein, wenigstens das Quorum für Volksabstimmungen sollte der Landtag von einem Drittel auf ein Viertel senken - so wie von der Koalition vorgeschlagen. Kluck: "Es hilft nichts, wir können uns dem Ziel von mehr direkter Demokratie nur in mehreren kleinen Schritten nähern."