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Ein 49-Jähriger soll seiner ehemaligen Freundin im Januar in den Bauch geschossen haben. Beim Prozessauftakt am Montag wurde er vom Bruder des Opfers geschlagen.

Sindelfingen - Im Prozess um einen versuchten Mord in Sindelfingen hat der Bruder des Opfers versucht, die Bestrafung selbst in die Hand zu nehmen: Kurz nach dem Auftakt am Montag ging er im Stuttgarter Landgericht auf den Angeklagten los und versetzte ihm Schläge. Ein Sicherheitsbeamter rang den Mann nieder. Seine Schwester soll am 16. Januar in Sindelfingen von dem mutmaßlichen Täter lebensgefährlich verletzt worden sein. Gegen 21.30 Uhr klopfte der 49-Jährige an der Wohnungstür der Frau. Als sie öffnete, feuerte er sofort einen Schuss auf sie ab. Während einer vierstündigen Notoperation holten die Ärzte das Projektil aus ihrem Becken, sie bekam acht Bluttransfusionen. Zunächst machte der Angeklagte nur Angaben zu seiner Person. Sein Anwalt kündigte noch eine Erklärung zur Tat an.

Tumulte zu Prozessbeginn

Nach der Attacke war der Prozess unterbrochen worden, die Sicherheitsmaßnahmen wurden verstärkt, dann ist die Verhandlung fortgesetzt worden. Der Angeklagte war an der Schläfe verletzt worden, wollte die Verhandlung aber nicht abbrechen. Der Bruder des Opfers wurde in Handschellen von der Polizei abgeführt. Den Aussagen seiner Schwester zufolge hat der Angeklagte wohl aus verschmähter Liebe zu einer Pistole gegriffen. Die Polizei nahm den 49-Jährigen kurz nach der Tat in seiner Wohnung in Ditzingen im Kreis Ludwigsburg fest. In der Garage fanden die Ermittler die Tatwaffe. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Vor rund 25 Jahren ist der Mann mit seiner damaligen Frau von der Türkei nach Deutschland gezogen. Er sei als Gastarbeiter gekommen, berichtete er und habe hauptsächlich als Gabelstaplerfahrer in einer Spedition gearbeitete. Die Ehe endete vor sechs Jahren mit der Scheidung. Die gemeinsamen Söhne sind 20 und 23 Jahre alt. „Ich war mit meiner Frau sehr glücklich“, sagte der Mann vor Gericht. Auf die Gründe für die Trennung wollte er nicht eingehen.

Der Angeklagte galt als höflich und zurückhaltend

Im Frühjahr 2014 hatte der Angeklagte dann die 40-Jährige kennen gelernt: Sie arbeitete als Verkäuferin und Näherin in einem Brautmodengeschäft, er putzte dort die Fenster. „Er war ein höflicher und zurückhaltender Mann“, berichtete sie. Mit ihren Kolleginnen sei sie gelegentlich mit ihm Kaffeetrinken gegangen. Ihren Geburtstag im Frühjahr darauf feierten sie gemeinsam. Er schenkte ihr eine Kette für 200 Euro. Mit seinem Auto durfte sie für den Führerschein auf dem Übungsplatz fahren, er half beim Renovieren ihrer Wohnung und kaufte ihr ein Sofa. An ihre in der Türkei lebende Mutter überwies er mehrfach mehrere hundert Euro, und im Sommer bezahlte er ihr ein Flugticket für einen Besuch dort. „Er wollte es, ich habe ihn nicht dazu aufgefordert“, sagte die Frau – und dass sie die finanzielle Unterstützung als Darlehen gesehen habe. Dass der 49-Jährige mehr als nur Freundschaft wollte, will sie aber nicht erkannt haben. Die Frau hatte zu der Zeit eine Beziehung mit einem anderen Mann, wovon der Angeklagte nichts wusste.

Eine Kollegin der Frau erzählte ihm schließlich im Sommer davon. Erst da habe ihr der Angeklagte offenbart, dass er sie heiraten wolle, berichtete das spätere Opfer. Es kam zum Streit, er beschimpfte sie als Prostituierte. Im Herbst brach der Kontakt ab. Bis zu dem Mordversuch im Januar hörte die 40-Jährige nichts mehr von dem Angeklagten. „Erkennst du mich wieder?“, soll er sie gefragt haben, bevor er die in seiner Jacke versteckte Waffe herauszog und abdrückte. Die Frau konnte noch nach Hilfe rufen, ihre Nachbarn verständigten den Notarzt. Vom Vorsitzenden Richter nach dem möglichen Motiv für die Tat befragt, antwortete sie: „Wegen seines Egos, weil ich ihn nicht wollte.“ Die Frau ist seit dem Angriff krank geschrieben. Sie hat chronische Schmerzen, leidet an Depressionen und Panikattacken. Als sie aussagte, saß der Angeklagte in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl und starrte auf den Boden. Der Prozess wird am 11. Juli fortgesetzt.