Franz und Franz, links Beckenbauer, rechts Hübner Foto: privat

Er war 54 Jahre lang die gute Seele des tus Stuttgart. Und der wohl dienstälteste Wirt eines Vereinsheims in Deutschland. Nun ist Franz Hübner mit 93 Jahren gestorben. Wir erinnern an ihn mit einem Porträt, das 2018 zu seinem Abschied erschienen ist.

Stuttgart - Franz Hübner hat ein Rätsel der Menschheit gelöst. Er kann die Zeit rückwärts laufen lassen, zumindest wenn man der Uhr glaubt, die über der Theke hängt: Die Zeiger drehen sich links herum. Offenbar war dieses Vereinsheim auf der Waldau ein Jungbrunnen. Zumindest konnte Hübner die Zeit anhalten: Bis er 90 war, stand er immer noch Abend für Abend hinter dem Tresen und bediente seine Gäste. „Ich bin gesund“ sagte er einmal bei einem Besuch vor vier Jahren, er trinke nicht, er rauche nicht, brauche keine Pillen. Zur Demonstration ging er sogleich in die Knie: „Sehen Sie, ich komme immer noch auf den Boden.“ Man konnte daraus nur einen Schluss ziehen: Man braucht nicht zwingend Yoga und Wirbelsäulengymnastik, auch Bier zapfen und Schnitzel braten halten fit. Doch am Ende siegt immer Gevatter Zeit: Am Freitag haben die tus-Sportler Franz Hübner und seine Gefährtin Ruth Putzer in den Ruhestand verabschiedet.

Mit dem Motorrad nach Stuttgart

Doch nun versuchen wir uns auch einmal an diesem Trick und drehen die Uhr zurück. Mitte der 50er Jahre machte sich der Werkzeugmacher Franz Hübner auf nach Stuttgart. In Oberstaufen im heimischen Allgäu war keine Arbeit und kein Auskommen zu finden. Mit seiner 200er Zündapp knatterte er nach Württemberg. Zunächst schaffte er bei Zeiss-Ikon, ehe ihn der Chef der Brillenfabrik Hampl in Gerlingen anwarb, nicht zuletzt weil der flinke Rechtsaußen Hübner ziemlich gut kicken konnte.

Der Fußball eröffnete ihm auch eine neue Karriere. Nach einem Freundschaftsspiel bei den Sportfreunden Stuttgart saß man in deren Vereinsheim beisammen. „Ich hab’ mich nützlich gemacht“, erinnert sich Hübner, „und meine Kameraden bedient.“ Das tat er so gut, dass der Vorstand der Sportfreunde ihn beiseitenahm und sagte: „Das machst du aber klasse. Übrigens, ich suche einen Wirt.“ Drei Jahre später wiederholte sich die Geschichte. Da brauchte man nebenan beim Turnverein Stuttgart, einem Vorgänger des tus, einen Patron für das nagelneue Vereinsheim. Das war 1964.

2018 war Schluss

Nun drehen wir die Zeiger wieder rechtsherum und reisen 54 Jahre in die Zukunft. Es ist 2018. Oder sollte es sein, denn in der Gaststätte tus 2 sieht es immer noch so aus wie vor 54 Jahren. Die Küche hat man vor fünf Jahren ganz neu gemacht, der Gastraum ist indes original 1964, mal abgesehen von dem Linoleum. Damals war’s modern, später nannte man es altbacken, heute sagt man Retro dazu. Auch die Karte brauchte keinen Schnickschnack. Da hat sich einzig der Preis geändert. Tellerschnitzel mit Pommes für 9 Euro gab es oder drei Maultaschen geröstet für 7 Euro. Die Sportler liebten es. Nun sind sie heimatlos,denn der tus grübelt noch, wie es weitergeht. Soll man noch mal richtig viel Geld in die Hand nehmen, um das Vereinsheim zu sanieren und einen Nachfolger von Hübner zu finden? Noch sei nichts entschieden, heißt es.

Der Olympiadritte kommt zum Bier

Einen wie den Kaiser Franz, wie er liebevoll genannt wird, findet man eh nicht mehr. Da war man sich einig am Freitag. Die Alfred-Dompert-Gruppe kam seit gut 50 Jahren. Der Olympiadritte im 3000-Meter-Hindernislauf 1936 hatte in den 60er Jahren Gleichgesinnte um sich geschart,man trieb Sport aller Art und trank hinterher ein Bier beim Franz. Alfred Dompert starb 1991, seine Mitstreiter trafen sich weiterhin und kamen vorbei. Und natürlich wusste Hübner von jedem, was er trinkt und isst. Sein Motto: „Wenn die Tür aufgeht, ist das Bier schon gezapft.“ Er kannte seine Pappenheimer,und um das zu unterstreichen, fragte er: „Wissen Sie, wie ein Gehörloser ein Radler bestellt?“ Die Antwort: Er hielt den Daumen der rechten Hand hoch, dann rührte er mit beiden Händen in der Luft, als trete er Pedale. „Die Gehörlosen haben immer hier Sport gemacht“, sagte Hübner. So lernte er die Gebärdensprache.

Die Meisterschale war weg

Das zeigt: Ein guter Wirt kommt ohne Worte aus. So widmen wir uns dem Fotoalbum. Kaiser Franz mit Franz, Franz mit Guido Buchwald und Pierre Littbarski, alle aufgenommen 1985, als die Nationalmannschaft im Waldhotel logierte – und dann ein ganz besonderer Schatz: ein Foto von einem Benefizspiel vor über 50 Jahren. Das zeigt Hübner im weißen Trikot neben einem Schrank von Mann, dem Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf. Im Hintergrund lugt ein schwarzer Schopf hervor, Weltmeister Fritz Walter. Er schaut über die Schulter des VfB-Idols schlechthin, Robert Schlienz. Zwei der größten Fußballer ihrer Generation, „mit denen durfte ich spielen“, sagte Hübner bescheiden, um dann knitz hinzuzufügen, „aber ich war auch nicht schlecht“. Auch Horst Köppel stand am Tresen. Klaus-Dieter Sieloff brachte die Meisterschale von Borussia Mönchengladbach mit. Er zeigte das gute Stück stolz seinen Freunden. Plötzlich war die Schale weg. Ein Scherzkeks hatte sie versteckt. Große Aufregung. Die Schale fand sich wieder. Doch der Missetäter bekam erst mal kein Bier mehr vom Franz.

Manchmal wäre es schön, die Zeit anhalten zu können. Das kann auch ein nicht. Doch er hat etwas fast so Schweres geschafft:Ganz egal, ob links oder rechts herum, er ist immer mit der Zeit gegangen.

Doch zuletzt hat die Zeit ihn dann doch eingeholt. Mit 93 Jahren ist Franz Hübner gestorben.