Die Wahrscheinlichkeit, dass Berufstätige Angehörige pflegen müssen, ist stark gestiegen. Foto: imago stock&people

Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege stellt die Unternehmen vor große Herausforderungen. Auch um Facharbeiter zu halten, bietet ein Drittel Leistungen über die Gesetze hinaus an.

Stuttgart - Damit ihre Beschäftigten Beruf und Pflege besser vereinbaren können, bilden die Unternehmen im Land immer häufiger so genannte Pflegelotsen aus. Diese dienen den Mitarbeitern als Ansprechpartner rund um das Thema Pflege und helfen auch in akuten Fällen weiter. Der größte Dienstleister im Südwesten Family-Net hat seit 2015 rund 700 Pflegelotsen für Unternehmen, Verwaltungen und Behörden geschult. „Vor allem in den zwei vergangenen Jahren ist die Nachfrage stark gewachsen“ sagt Petra Siewert-Weidler. „Pflege kommt immer plötzlich, da muss man schnell handeln können. Pflegelotsen helfen hier Arbeitgebern wie Betroffenen, denn sie sparen beiden Seiten viel Zeit.“

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Die Unternehmen reagieren damit auf den demografischen Wandel: Die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftigte Angehörige pflegen müssen, steigt. Nach den aktuellsten Zahlen des Statistischen Landesamts waren Ende 2017 in Baden-Württemberg knapp 400 000 der rund elf Millionen Einwohner im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes pflegebedürftig – rund ein Fünftel mehr als zwei Jahre zuvor. Mehr als die Hälfte wurde von den Angehörigen gepflegt, von denen wiederum zwei Drittel einer Arbeit nachgingen. Nicht eingerechnet sind Hunderttausende Menschen ohne Pflegestufe, die aber dennoch versorgt werden müssen.

Die Unternehmen versuchen, das Thema Pflege zu enttabuisieren

Vor allem die größeren baden-württembergischen Firmen versuchen deshalb, das Thema Pflege zu enttabuisieren und arbeiten auch mit externen Dienstleistern zusammen. Die Walldorfer Softwareschmiede SAP etwa kooperiert mit dem Heidelberger Bündnis für Familie, Vodafone mit der Arbeiterwohlfahrt. Ein Drittel der Unternehmen bietet nach Angaben des Wirtschaftsministeriums Pflege-Auszeiten an, die über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgingen. Bis zu vier Jahre bietet etwa Daimler an. Dabei spielt auch der Fachkräftemangel eine Rolle: „Vor allem die Organisation der Pflege ist dabei ein wichtiges Thema, um Fachkräfte im Unternehmen zu halten und mögliche Ausfallzeiten einzudämmen“, heißt es bei Bosch.

Laut dem Pflegezeit-Gesetz können sich Mitarbeiter in Firmen mit mindestens 15 Beschäftigten vollständig oder teilweise bis zu sechs Monate für die häusliche Pflege freistellen lassen. Die Forderung nach einem Lohnersatz ähnlich dem Elterngeld für diese Zeit werden immer lauter. Auch die Landesregierung will das Thema vorantreiben – und damit Druck auf den Bund aufbauen. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will das Thema auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder auf die Tagesordnung setzen.