Wolfgang Simon (rechts) und Robert Trautwein tragen das Transparent. Foto: Verein

Mitglieder des Vereins für gentechnikfreie Landkreise haben sich an der großen Demonstration gegen TTIP und CETA in Stuttgart beteiligt. Dabei geht es um Handelsabkommen mit den USA.

Erdmannhausen - Die Spatzen kündigten es ja Tage zuvor von den Dächern an, die Hühner gackerten in ihren Ställen um die Wette, die Kühe muhten an den Melkmaschinen. . . und manche Landwirte ließen am Samstagfrüh die Motoren an, um sich auf den Weg zur Demo nach Stuttgart zu machen. Auch das für die Demo 2015 in Marbach gebaute Trojanische Pferd wurde im Demozug gesichtet! Empört euch! Engagiert Euch!

 

Vier Buchstaben eines Abkommens standen im Mittelpunkt des Widerstandes: CETA soll jetzt im Herbst noch schnell durchgeboxt und an den Parlamenten vorbei „eingesetzt werden“. Doch seit Jahren regt sich demokratischer Widerstand gegen den „größten anzunehmenden Unfall der Demokratiegeschichte“ auch hier in Marbach. Und so rief das Marbacher Bündnis gegen TTIP und CETA auf, nach Stuttgart zu fahren. Und es war so wohltuend, ermutigend und erfrischend, die bunte Vielfalt aus allen Teilen der Gesellschaft, jeglichen Alters und vieler Nationalitäten vereint zu sehen. Nein, die Wut und Empörung wurde und wird gesteigert durch die Tatsache, dass Staaten auf Investitionsschutz zu Lasten der Gemeinwohlorientierung verpflichtet und soziale und ökologische Errungenschaften der Gewinnerwartung von Großunternehmen untergeordnet werden sollen.

Nach unseren beiden Demos 2014 und 2015 sind engagierte und besorgte Bürger bestückt mit Transparenten und Schildern unserem Aufruf gefolgt. In vielen Gesprächen wurde nochmals das zusammengefasst, was Politiker und Wirtschaftslobbyisten noch nicht hören und sehen wollen. Das bereits verhandelte Abkommen mit Kanada, das als Blaupause für TTIP bezeichnet wird, stellt eine Gefahr für die bäuerliche Landwirtschaft und für unser gentechnikfreies Essen dar. CETA will Zölle abbauen beziehungsweise für sehr sensible Bereiche wie Milch und Fleisch erhöhte Zollquoten einführen. Damit können beide Staaten mehr Fleisch und Milch über den Atlantik exportieren, auch wenn beide Erzeugnisse ausreichend erzeugt werden. Entscheidend ist dann der billigste Erzeugerpreis. Auch die kommunalen Bereiche sind stark betroffen: Die EU hat bei CETA zum ersten Mal einen sogenannten „Negativlistenansatz“ gewählt. Durch die Wahl des Negativlistenansatzes müssen in CETA alle Bereiche gelistet werden, die in Zukunft eine mögliche Marktzugangsbeschränkung darstellen könnten, aber von den Liberalisierungsbestimmungen ausgenommen werden sollen. Das Prinzip der Negativliste ist gerade für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge als kritisch zu bewerten, da diese einem ständigen Wandel durch soziale oder technologische Veränderungen unterliegen. Die Auflistung im CETA-Abkommen zeigt zudem, dass zahlreiche kommunale Dienstleistungen außer Acht gelassen wurden, die in den EU-Mitgliedstaaten als Dienstleistungen der Daseinsvorsorge klassifiziert werden. Auf dem Spiel steht ebenso das Vergabeverfahren in den Kommunen: Es wird derzeit In der EU in vielen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge die „Nichtdiskriminierung“ durch öffentliche Ausschreibungen von Vergaben (öffentliche Aufträge, Konzessionen, Subventionen) sichergestellt. Also: es gibt viele Gründe, warum so viele Menschen auf die Straße gingen.

Größer und bedeutender war Protest selten. Diese Protestbewegung hat Kraft! Und auch wir werden keine Ruhe geben, werden weiter aufklären, mobilisieren und Veranstaltungen organisieren. Denn diverse Abkommen stehen in den Startlöchern. So etwa das Dienstleistungsabkommen TISA. Die EU verhandelt streng geheim mit 21  Staaten über eine Liberalisierungswelle, die sich gewaschen hätte. Die Süddeutsche Zeitung schreibt nach aktuellen Leaks: „Bei TISA geht es um noch viel mehr als bei TTIP und CETA.”

TISA kann unsere Gesundheit, Bildung, Nahverkehr und Wasser gefährden: Zentrale öffentliche Dienstleistungen stünden mit dem Abkommen unter heftigem Privatisierungsdruck. Die Verhandlungen sind schon weit fortgeschritten. Mehrere Abkommen mit den südostasiatischen Staaten Singapur, Vietnam, Malaysia, Thailand, Indonesien und den Philippinen stehen auf der Agenda. Dort haben die Menschen wenig demokratische Rechte und werden zum Teil rücksichtslos ausgebeutet. Den Konzernen, die sie ausbeuten, sollen unsere Dienstleistungsmärkte geöffnet werden – und sie bekommen Sonderklagerechte als Investoren. Außerdem ist TTIP noch nicht erledigt. Gescheitert ist dank der starken Proteste bisher nur der Versuch, noch unter der Obama-Präsidentschaft mit dem Abkommen fertig zu werden. Die Kommission jedoch verhandelt schon für den Neustart. Die nächsten Wochen und Monate sind eine Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft – Wachsein – empört sein – Engagiert bleiben! Das sind Sternstunden einer Demokratie!

Reinhild Holzkamp, Wolfgang Manuel Simon