Über diese Botschaft gibt es im Arbeitnehmerlager deutliche Meinungsverschiedenheiten. Foto: dpa

Das geplante EU-Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, treibt Risse in den Gewerkschaftsbund. Nicht alle DGB-Organisationen befürworten eine kategorische Ablehnung. Anders als Verdi haben die Industriegewerkschaften Vorbehalte gegen die Demos in Stuttgart an diesem Samstag.

Stuttgart - Es entspricht den Gepflogenheiten im Gewerkschaftsbund, dass die Protagonisten regelmäßig deutlich machen, was sie voneinander trennt. Dafür eignet sich der Streit um das EU-Freihandelsabkommen Ceta bestens. Die Rollen der Guten und Bösen sind klar verteilt: Während der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft (IG BCE), Michael Vassiliadis, den Vertrag verteidigt, läuft Verdi-Chef Frank Bsirske Sturm gegen Ceta – pro und kontra Wirtschaft also. Die IG Metall bewegt sich irgendwo mittendrin, und DGB-Chef Reiner Hoffmann hat Mühe, den Laden zusammenzuhalten.

Doch ist das Feuer erst einmal gelegt, lässt man es vor sich hin flackern. So möchte die IG BCE offiziell gar nichts mehr beitragen zum Ceta-Zwist, wie eine Sprecherin anmerkt. Vassiliadis habe Mitte Juli im „Spiegel“ schon alles gesagt. Unter anderem hatte er mit Blick auf Verdi einen „emotionalen Kampagnenmodus“ beklagt: Gewerkschaften seien keine reinen Protestbewegungen. Folglich trägt die IG BCE an diesem Samstag wenig zum Massenprotest in sieben Großstädten bei, zu dem der Dachverband DGB aufruft.

Die Chemiegewerkschaft verteidigt Ceta massiv

Die Chemiegewerkschaft hält Ceta im Grundsatz für ein gutes Abkommen, weil man auf die Globalisierung Einfluss nehmen müsse, die wichtig sei für die exportorientierte Wirtschaft. Bei Ceta sei kein neoliberaler Geist zu erkennen – der ausverhandelte Vertrag sei besser als das, was es bisher gebe, heißt es. Das Problem sei nun, dass die Gegner den Protest gegen Ceta und TTIP vermischten, denn die Kritik am Abkommen mit den USA (TTIP) würde im DGB ja von allen geteilt.

Auch DGB-Chef Hoffmann mag kein Öl ins Feuer gießen. Vor einer Woche war er in Kanada – zur Beratung mit örtlichen Gewerkschaftskollegen. Was dabei herausgekommen ist, behält der DGB für sich. Am Montag will Hoffmann auf dem SPD-Konvent in Wolfsburg reden.

Der Verdi-Chef sucht derweil jede Gelegenheit, um gegenzuhalten: Frank Bsirske reichen die bisherigen Errungenschaften bei Ceta „bei weitem“ nicht aus. Es gebe zu viele „Grauzonen, Schlupflöcher und Lücken“. Das Wachstumsversprechen sei dürftig – nur wenige große Unternehmen, die diesseits und jenseits des Atlantik aktiv sind, würden von Ceta profitieren. Somit ist Verdi federführend an der Organisation der Demos beteiligt und lässt auch hochrangige Funktionäre auftreten.

Die IG Metall pflegt eine „Im Prinzip ja, aber...“-Haltung

Angesichts dieser klaren Konfrontation hat die IG Metall mit ihrer „Im Prinzip ja, aber...“-Haltung Mühe, ihre Position kenntlich zu machen – auch in den eigenen Reihen. Der Bezirksleiter Roman Zitzelsberger geht davon aus, dass TTIP „auch wegen der geringen Kompromissbereitschaft der USA vor der US-Präsidentschaftswahl nicht mehr durchkommt“. Es spreche vieles für einen späteren Neustart. Dabei würden „anhaltende Fehler wie Intransparenz oder das Festhalten an privaten Schiedsgerichten aber weder politische noch gesellschaftliche Zustimmung ermöglichen“, sagte er dieser Zeitung.

Anders die Lage bei Ceta: Der Druck der Gewerkschaften habe Fortschritte gebracht. Wenn dem Vertragstext nun die letzten „Giftzähne“ gezogen würden, „kann so etwas ein gutes Beispiel für ein bilaterales Handelsabkommen sein“ – auch im Hinblick auf TTIP. „Wir haben eher einen positiven Blick auf Ceta – die Richtung stimmt“, so Zitzelsberger. Um letztendlich ja zu sagen, brauche es aber Nachbesserungen vor den nationalen Ratifizierungen. Zum Beispiel stehe der Ermessensspielraum der geplanten eigenständigen Gerichtsbarkeit beim Investorenschutz in Frage. Und es müsse klar sein, dass öffentliche Daseinsvorsorge dabei „nichts zu suchen hat“, indem Konsortien, die Wasser oder Strom anbieten, ihrerseits Klage anstreben können, wenn sie ihre Investitionen nicht in notwendigem Maße gesichert sehen. Auch Tariftreue bei öffentlichen Vergaben könne keine Grundlage sein, dass die Schiedsgerichte über den Investorenschutz urteilen. Die Arbeitnehmerrechte müssten stets gewahrt bleiben.

„Baden-Württemberg profitiert von Ceta“

Deshalb seien die Demonstrationen notwendig, „um noch mal Druck zu machen“. Der Protest müsse allerdings differenziert ausfallen. Reine Ablehnung könne die IG Metall nicht mittragen. Denn „grundsätzlich profitieren wir als Industrieland, das eher vom Export lebt, von solchen Dingen“, redet Zitzelsberger den Gegnern ins Gewissen. Der Abbau von Zollhemmnissen und die Vereinheitlichung von technologischen Standards böten auch Chancen. Während die Gegner meinen, dass Nachbesserungen nicht mehr möglich seien, hält es der Bezirksleiter für falsch, „sich auf die Ablehnungsseite zu schlagen, weil man vermeintlich nichts mehr auf die Reihe kriegt“. Dies sei eine Frage des Vertrauens in die eigenen Verhandlungspositionen.

Von Grabenkämpfen im DGB mag er nicht reden – eher von der unterschiedlichen Sicht, ob das Glas halb voll oder halb leer sei. Unterschiedliche Positionen seien weder im DGB noch in der IG Metall etwas Neues. Und „es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns über einen politischen Diskurs in den Sachfragen nach und nach annähern“. Die IG Metall ermuntert selbst nicht zur Teilnahme an den Demonstrationen: „Wenn der DGB aufruft, ist dem Genüge getan“, sagt der Bezirksleiter. Außerdem gebe es einen gemeinsamen Beschluss des DGB-Bundesvorstands, der für die Gewerkschaften insgesamt gelte.

Einflussnahme der Arbeitgeberverbände

Auch die Arbeitgeberverbände, klare Verfechter von Ceta und TTIP, versuchen offenbar, Einfluss auf die Arbeitnehmervertreter zu nehmen. Zitzelsberger zufolge gibt es einen „Austausch“ sowohl auf Verbands- als auch auf Unternehmensebene speziell in multinationalen Konzernen. Dort würde mit Betriebsräten über den Nutzen der Abkommen gesprochen, denn gerade die Automobilbauer und Zulieferer würden von der Vereinheitlichung internationaler Standards profitieren. Allerdings „stehen sich da nicht zwei homogene Blöcke gegenüber“, sagt Zitzelsberger. Es gebe nicht wenige Unternehmensvertreter, die eine kritische Haltung hätten. Wenn sie zum Beispiel in den USA in die Mühlen privater Schiedsgerichte gerieten, könnte dies Millionenkosten für Anwälte verursachen. „Das können sich kleinere Unternehmen gar nicht leisten.“ Die Arbeitgeberverbände hätten die Haltung „Hauptsache Handelsabkommen – egal wie“, die IG Metall fordere klare Regeln dafür. „Das unterscheidet uns an der Stelle.“