Verkehrsminister Wissing unterbreitet der EU-Kommission einen Lösungsvorschlag, doch die reagiert sehr zurückhaltend.
Es kommt selten vor, dass das geschwätzige Brüssel sprachlos ist. Doch der Vorschlag von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), wie der Streit über ein Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor gelöst werden könnte, lässt die Verantwortlichen bei der EU eher kopfschüttelnd zurück. Vielsagend sind allenfalls die Worthülsen, mit denen die EU-Verantwortlichen auf den Brief reagieren. „Wir schauen uns das an und werden so schnell wie möglich eine Antwort darauf liefern“, sagte der litauische EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius. Einen Seitenhieb zur FDP konnte sich Klima-Kommissar Timmermans nicht verkneifen. Er sei „zuversichtlich, dass wir uns auf eine Interpretation einigen können, die die zukünftige Rolle der E-Fuels klarstellt“ und gleichzeitig die geplante Gesetzgebung wahre.
Minister Wissing plant eine juristische Trickserei
Im Grunde plant der deutsche Verkehrsminister eine juristische Trickserei, mit der die FDP ihren Willen im Verbrennerstreit ohne Zustimmung des Europaparlaments und der EU-Staaten durchsetzen könnte. Konkret schlägt Wissing einen sogenannten delegierten Rechtsakt vor, der die derzeit blockierte Verbrenner-Einigung ergänzen würde. Dazu will er zuerst im Rahmen der bestehenden Abgasnorm Euro 6 die Möglichkeit für eine neue Fahrzeugkategorie nur für E-Fuels schaffen. Wenn das Gesetz zum Verbrenner-Aus in Kraft ist, soll ein delegierter Rechtsakt die Anrechnung dieser „E-Fuels only“-Fahrzeuge auf die Flottengrenzwerte ermöglichen. Bei diesen Grenzwerten geht es um den Ausstoß von CO2, bei der Abgasnorm um den Ausstoß von Schadstoffen wie Stickoxiden und Feinstaub. Der bereits erzielte Kompromiss müsste somit nicht geändert werden. Die Europäische Kommission kann einen solchen Rechtsakt verabschieden, anschließend haben Parlament und EU-Staaten zwei Monate Zeit, Einwände zu erheben.
Fassungslosigkeit bei den Parlamentariern
Michael Bloss reagiert reichlich fassungslos auf den Vorstoß. „Das ist kein Kompromissvorschlag, das ist eine Aufforderung zum Rechtsbruch“, schreibt der Grünen-Europaparlamentarier auf Twitter. So fordere Wissing die EU-Kommission auf festzulegen, „dass E-Fuels als klimafreundlich gelten“, das dürfe sie aber nicht, argumentiert er. Andernfalls begehe sie Rechtsbruch, da sich auch die Kommission an die Gesetze halten müsse, doch darin seien E-Fuels schlicht nicht vorgesehen. Auch politisch hält Michael Bloss den Vorschlag für nicht durchsetzbar und ist sich sicher, dass das Europaparlament dagegen klagen würde.
Die deutschen Liberalen haben es mit der Blockade in Brüssel sogar geschafft, ihre möglichen Bündnispartner vor den Kopf zu stoßen. „Die 180-Grad-Wende der FDP bezüglich des Verbrennerverbots verspielt nicht nur Vertrauen auf europäischer Ebene und lässt Deutschland im Rat unglaubwürdig erscheinen, sondern rückt Planungssicherheit für die Autoindustrie weiter in die Ferne“, poltert der Europaparlamentarier Markus Ferber, der sich als verkehrspolitischer Sprecher der CSU-Europagruppe mit seinen Positionen in der Regel eher eng an der Seite der Autoindustrie befindet. Selbst die Liberalen im Europaparlament sind gespalten angesichts des brachialen Vorgehens des deutschen Verkehrsministers. Aus deren Fraktion kam dieser Tage ein Appell von der Schwedin Emma Wiesner. Um klarzumachen, an wen sich ihre Worte richteten, sagte sie auf Deutsch: „Hören Sie auf, zentrale Elemente unseres Klimaschutzpakets wie das Ende des Verbrenners zu blockieren.“
Berlin ist ein schlechtes Vorbild für andere Länder
Bauchschmerzen bereitet den Verantwortlichen in der EU vor allem die Gefahr, dass sich andere Länder in Zukunft ein Vorbild an Deutschland nehmen und wichtige Vorhaben in letzter Sekunde blockieren könnten. In Staaten wie Ungarn und Polen wird der Streit deshalb mit einigem Wohlwollen beobachtet. Denn dort wird man die bisweilen schulmeisterlichen Zurechtweisungen aus Berlin, sich an die EU-Regeln zu halten, in Zukunft wohl mit dem Hinweis auf das Verbrenner-Aus kontern.
Kritisch wird in anderen Mitgliedsländern auch gesehen, dass ausgerechnet die liberale FDP zweifelhafte Allianzen etwa mit Italien in Kauf nimmt. Die im Oktober angetretene römische Regierung unter Postfaschistin Giorgia Meloni inszeniert sich als Retterin von Fiat und Ferrari. „Mit unserem Nein haben wir Europa aufgeweckt“, behauptet Melonis Parteifreund Adolfo Urso, Minister für Unternehmen und „Made in Italy“. Wie Italien ist auch Polen strikt gegen das Verbrenner-Aus – allerdings auch gegen den übergeordneten Plan, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Die nationalkonservative Regierung in Warschau verfolge aber ganz andere Ziele als die FDP, betont eine EU-Diplomatin: Polen will nach ihren Worten „Ausnahmen für die ärmsten Bürger erreichen statt für Luxusautohersteller“. In den Brüsseler Fluren wird gespottet, FDP-Chef Christian Lindner wolle im Grunde nur eine „Lex Porsche“ in Europa durchdrücken. Der Stuttgarter Autobauer errichtet derzeit eine E-Fuel-Anlage in Chile, und Lindner fährt bekanntlich selbst einen Porsche.