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Verkehrte Welt im Energiemarkt. Gas ist diesen Winter nicht knapp, sondern im Überfluss vorhanden. Von der Gasschwemme profitieren die Verbraucher allerdings nicht.

Stuttgart - Verkehrte Welt im Energiemarkt. Gas ist diesen Winter nicht knapp, sondern im Überfluss vorhanden. Von der Gasschwemme profitieren die Verbraucher allerdings nicht. Fast 50 Gasversorger erhöhen zum neuen Jahr ihre Preise. Die Ölpreisbindung verhindert, dass die Tarife in den Keller gehen.

Es war recht außergewöhnlich, was die Internationale Energieagentur (IEA) vor wenigen Tagen in Paris verkündete. Gas - unter den fossilen Brennstoffen der wohl begehrteste überhaupt - könnte in den kommenden Jahren zum Überschussprodukt werden. Bereits in diesem Jahr werde der weltweite Gasverbrauch um rund drei Prozent zurückgehen. Bis zum Jahr 2015 prognostizieren die IEA-Experten gar eine weltweite Gasschwemme.

Anzeichen für das sich abzeichnende Überangebot gibt es auch hierzulande. Beim größten deutschen Gasimporteur Eon-Ruhrgas, der rund 70 Prozent des Markts beherrscht, verzeichnet man eine "temporäre Überversorgung". Die Gasspeicher seien "stark gefüllt". Für die Jahreszeit - mitten in der Heizsaison - ist das eine extrem untypische Situation.

Leitungen und Speicher sind also voll, die Preise für die Endkunden sinken aber dennoch nicht. Im Gegenteil: Aktuell stehen nach einer Marktübersicht des Verbraucherportals Check24 gut 30 Gasversorgern, die ihre Preise zum Januar 2010 senken, 47 Gasversorger gegenüber, die ihre Tarife erhöhen - und zwar um bis zu 12 Prozent.

Der Schlüssel zum Verständnis dieses vermeintlichen Widerspruchs liegt in der Struktur des Gasmarkts. Anders als etwa Öl wird der ganz überwiegende Teil des Gases nicht an freien Märkten oder Börsen gehandelt, sondern wechselt in direkten Lieferbeziehungen zwischen Exportfirmen - etwa der russischen Gazprom - und Importeuren - etwa Eon-Ruhrgas, Wintershall oder der ostdeutschen VNG - den Besitzer. Diese reichen das Gas an eine Vielzahl kleinerer Gasversorger weiter. Exporteure und Importeure haben sich dabei mit extrem langfristigen Lieferbeziehungen von etwa 30 Jahren Dauer aneinandergekettet. Aus historischen Gründen ist der Gaspreis in diesen Verträgen an die Entwicklung der Ölpreise gekoppelt. Diese sogenannte Ölpreisbindung lässt den Gaspreis im Zeitverzug von rund einem halben Jahr dem Ölpreis nachfolgen.

Das aktuelle Problem dabei: Der Ölpreis hat sich seit Jahresbeginn 2008 verdoppelt. Aktuell kostet das Fass rund 77 Dollar. Folgerichtig zeigt die aktuelle Preistendenz beim Gas ebenfalls nach oben. Eigentlich sind Tariferhöhungen sogar überfällig.

"Aufgrund der Ölpreisbindung hätte der Gaspreis bereits in den vergangenen Wochen steigen müssen", sagt etwa Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Nach Ansicht von Fachleuten schrecken besonders die Großversorger derzeit vor Preiserhöhungen zurück, weil sie einen öffentlichen Proteststurm fürchten.

Mehrere Großversorger, etwa Eon, haben daher angekündigt, die Gaspreise für Haushaltskunden über den Jahreswechsel stabil zu halten. Die Karlsruher EnBW hat ihre Gastarife bereits im Jahresverlauf in zwei Schritten um knapp 20 Prozent gesenkt und bisher keine neue Anhebung angekündigt.

Während also der Großteil des Gases an den Märkten vorbei seinen Weg zum Verbraucher findet und durch den Mechanismus der Ölpreisbindung dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage entzogen ist, quillt das Gasangebot an den europäischen Energiebörsen über. Grund dafür ist die Wirtschaftskrise. So beklagt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) einen "erheblichen Absatzrückgang bei Strom und Gas" und führt dies unter anderem auf die gesunkene Industrieproduktion zurück. Geht einerseits also die Gasnachfrage zurück, steigt andererseits das frei handelbare Angebot an. Besonders die USA sind in den vergangenen Monaten bei der Erschließung neuer Gasfelder weitergekommen. Experten wie der Energiewirtschaftler Christoph Weber von der Universität Duisburg-Essen gehen daher davon aus, dass das Land im kommenden Jahr ganz auf Gasimporte verzichten kann und als Abnehmer am Weltmarkt daher ausfallen wird. Deswegen drücken große Mengen an sogenanntem LNG - verflüssigtes Erdgas, das im Gegensatz zu Pipelinegas in Tankschiffen transportiert wird - in die Märkte. Bis 2015 rechnet die IEA gar mit einer Verdreifachung des LNG-Angebots weltweit. Der europäische Markt werde dadurch unabhängiger vom russischen Pipelinegas, sagt Energiefachmann Weber. Die an den Börsen gehandelten Mengen stiegen damit an.

Das nutzen neue Anbieter - etwa Bürgergas oder Goldgas - aus. Sie decken sich direkt an den Energiebörsen mit billigem Gas ein. Die Verbraucher könnten von der neuen Einkaufspolitik derartiger Anbieter profitieren, meint Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Allerdings ist sich die Expertenwelt unsicher, ob die derzeitige Gasschwemme von langer Dauer sein wird. In ihren internen Analysen gehen große deutsche Energieversorger von einem jährlichen Zuwachs beim Gasabsatz von rund 1,5 Prozent für die nächsten Jahre aus. Anders als die IEA prognostiziert, könnte Gas also schon bald wieder knapp werden. Expertin Kemfert sagt: "Dass die Schwemme von langer Dauer sein wird, sehe ich nicht."