Große Tafeln an den Zugängen zum Schloss Solitude weisen Besucher darauf hin, was alles nicht erlaubt ist. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vorschriften über Vorschriften – beim Schloss Solitude ist gerade ein Beispiel für Überreglementierung im öffentlichen Raum zu besichtigen. Wie wär’s statt mit Verbotsschildern mal mit geschichtlichen Inhalten?, fragt Lokalchef Jan Sellner

Stuttgart - Wer regelmäßig Stuttgarts schönstes Schloss, die Solitude, besucht, das auf Stuttgarts schönster Wiese steht, stellt fest: Irgendetwas ist anders. Irgendetwas – das sind drei große Tafeln an den Zugängen zu der unter Herzog Carl Eugen zwischen 1763 und 1769 errichteten Anlage.

Auf den Betrachter wirken sie wie Gebotstafeln. Dem entspricht auch ihr Inhalt: „Die Grünanlagen dienen der Gesundheit und Erholung der Bevölkerung. Sie sind im Rahmen ihrer Zweckbestimmung mit den nachstehend genannten Einschränkungen allgemein zugänglich.“ Diese Einschränkungen erstrecken sich sage und schreibe über knapp einen Meter eng bedrucktes Blech. „Besonders untersagt“ ist beispielsweise: „Ballspiele jeglicher Art auszuüben“, „Bänke zweckfremd zu benutzen“ oder „außerhalb der besonders freigegebenen Flächen Wintersport zu betreiben, zu zelten, zu grillen oder zu picknicken“. Zusammen mehr als 20 Vorschriften, haarklein ausformuliert. Verglichen damit sind die Zehn Gebote eine dürre Blattsammlung.

Die Solitude – ein Freizeit-Musterort

Vor allem fragt sich der Besucher am Ende der Lektüre, was auf der Wiese vor der Solitude eigentlich nicht verboten ist? Und wie dort ohne Vorschriften Leben möglich war? Über die Einhaltung der Parkordnung wachen übrigens „schlosseigenes Personal sowie Dienstleister“, die befugt sind, „Grundstücksverweise und Hausverbote zu erteilen“. Unnötig zu erwähnen, dass „Zuwiderhandlungen straf- und zivilrechtlich verfolgt werden“. Ein Manifest der Kleinlichkeit.

Zuständig und verantwortlich dafür ist der Landesbetrieb Vermögen und Bau. Zur Begründung erklärt er, es habe verstärkt Anfragen gegeben, welche Aktivitäten in der Umgebung von Schloss Solitude gestattet sind. Und da ohnehin neue Schilder nötig gewesen seien, habe man gleich die Parkordnung aktualisiert und etwa die Nutzung von Drohnen untersagt. Gegen Letzteres ist nichts einzuwenden, gegen die Tendenz, Freiräume des Lebens zu verkleinern, hingegen schon. Vandalismus auf öffentlichen Plätzen und Anlagen ist zweifellos ein Problem. Ein Problem ist allerdings auch die Überreglementierung. Die Solitude ist ein Musterort dafür wie Menschen – einsam und gemeinsam – im Sommer zwanglos und überwiegend rücksichtsvoll die Seele baumeln lassen und im Herbst manchmal auch Lenkdrachen, die neuerdings verboten sind. Der Anteil von Störungen oder Übertretungen in dieser Rokoko-Oase ist gering.

In Stuttgart fehlen geschichtliche Hinweise

Der behördliche Übereifer fällt besonders krass ins Auge, wenn man ihm Beispiele behördlicher Vernachlässigung gegenüberstellt – der Monte Scherbelino, Luftlinie drei Kilometer von der Solitude entfernt und in städtischer Zuständigkeit, ist so ein Beispiel. Stuttgarts Trümmerberg, das Mahnmal der Stadt gegen Krieg und Zerstörung, wächst immer mehr zu, seine Silhouette verschwindet hinter Gestrüpp. Dort wünschte man sich ein Schild mit der Aufschrift: Stadt Stuttgart bitte pflegen! Davon abgesehen: Wie wäre es, statt Verbote Wissenswertes aus der Stadt- und Landesgeschichte auf Tafeln zu schreiben. Daran fehlt’s in Stuttgart tatsächlich – nicht nur auf der Solitude und auf dem Monte Scherbelino.

jan.sellner@stn.zgs.de