Viel Spaß am ersten gemeinsamen Trainingsabend: der Calcio-Trainer Francesco Di Frisco mit dem Einsteiger Kevin Kuranyi und seinem Mannschaftskapitän Gökhan Gümüssu (von links). Foto: Yavuz Dural

Der Ex-Nationalspieler steigt beim Echterdinger Verbandsligisten ein – für Erste nur als Trainingsgast. Auf weitere Sicht aber vielleicht für mehr?

Echterdingen - In geschätzten 99,9 Prozent aller Fälle würde der betroffene Trainer seinen Kickern etwas husten. Spieler, die in der Kabine Selfies machen? Spieler, die dort mit ihren Smartphones hantieren und sich gegenseitig ihre Schnappschüsse zeigen? Spieler, die mit ihren Gedanken also offensichtlich wo ganz anders sind als bei der Vorbereitung auf die nächste Partie? Geht eigentlich alles gar nicht. Eigentlich. Francesco Di Frisco hat in dieser Woche dennoch beide Augen zugedrückt. Schließlich ist der Hintergrund ein gänzlich außergewöhnlicher. Denn wann hat man als Amateurfußballverein schon mal einen 52-fachen Nationalspieler zu Besuch?

Willkommen Kevin Kuranyi! Seit Montagabend ist für die Verbandsliga-Kicker von Calcio Leinfelden-Echterdingen der Coup besiegelt: Kuranyi ist da – nicht nur für ein Hallo während dieser einen Übungseinheit, sondern bis auf Weiteres als mehr oder weniger regelmäßiger Trainingsgast. Der Plan: der 35-Jährige will sich so fit halten für sein Abschiedsspiel im nächsten Jahr (2. April auf Schalke, Veltins-Arena), nachdem er seine Profikarriere im März offiziell beendet hat. Seinen Wohnort hat er inzwischen wie einst in Stuttgart, wo auch seine Familie lebt. Warum gerade Calcio? „Ich hatte wieder ein bisschen Lust auf Fußball“, sagt Kuranyi und lacht, „und dort kenne ich einige der Jungs.“ Vor allem seinen Kumpel Shkemb Miftari. Von Torjäger zu Torjäger wurde das Thema konkret. Auch Di Frisco kannte seinen „Neuzugang“ bereits zuvor. Er und Kuranyi spielten einst zur selben Zeit beim VfB – di Frisco in der B-Jugend, Kuranyi als damals noch namenloser Jungspund im Regionalliga-Männerteam, ehe er groß durchstartete. Eben für den VfB, für Schalke und Hoffenheim sollten 275 Bundesliga-Einsätze folgen.

Lernen vom Ex-Profi

Nun, bei Calcio, sieht Di Frisco den alten Kollegen trotz des aktuellen Anfangsrummels „nicht als Störfaktor“, sondern ganz im Gegenteil als belebendes und potenziell beflügelndes Element. Gleich am besagten ersten Trainingsabend habe Kuranyi gezeigt, was man unter professionell versteht. Von wegen nur freundlich Lächeln für Selfies oder ein bisschen gemächliches „Hacke, Spitze, eins, zwei, drei“. „Er hat 120 Prozent gegeben, ist jedem Ball nachgerannt“, sagt Di Frisco. Seine Überzeugung: „Unsere Stürmer und vor allem unsere jungen Spieler können viel von ihm lernen.“

Und am Ende womöglich gar noch nicht nur mittelbar, sondern direkt von ihm im Punktekampf profitieren? Sprich: liegt über kurz oder lang noch mehr drin? Kevin Kuranyi im Trikot von Calcio? Der Protagonist selbst wiegelt ab und lacht erneut: „Nein, nein, nur Training“ – derweil Di Frisco eine alte Weisheit der Branche bemüht: „Auszuschließen ist im Fußball bekanntlich nichts.“ Vielleicht gelinge es ihm und den Seinen ja, mit Betriebsklima, Auftrittsweise und Erfolgen eine entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten. Die Echterdinger ihrerseits, so viel ist klar, würden nicht „Nein“ sagen.

Schwere Prüfungen bis zur Winterpause

Einstweilen freilich gilt es, mit dem gehabten Spielermaterial auszukommen – welches es allerdings zuletzt ja auch nicht schlecht gemacht hat. Mit zehn Punkten aus den vergangenen vier Begegnungen hat die Mannschaft ihren enttäuschenden Saisonstart korrigiert. Nun aber erst, so Di Friscos Einschätzung, folgen die wahren Prüfungen – „die Spiele, in denen man sehen wird, wie stark wir wirklich sind“. Tübingen, Ilshofen, Dorfmerkingen: unter den verbleibenden Aufgaben bis zur Winterpause befinden sich noch der Vierte, Zweite und Dritte des Klassements.

Eben gegen die TSG Tübingen geht am Sonntag zuhause das Gradmesser-Programm los. Als Aufsteiger spielt das Team des Trainer-Dauerbrenners Michael Frick (seit Oktober 2005 im Amt) bislang eine bemerkenswert starke Saison. Aufzupassen gilt es für Calcio vor allem auf die Angreifer Jonas Frey und Lars Lack. Der eine war in der vorigen Runde mit 30 Treffern Landesliga-Torschützenkönig, der andere bringt vom Oberligisten Reutlingen höherklassige Erfahrung mit.

Di Frisco dürfte bis auf zwei Ausnahmen das gleiche Aufgebot wie beim jüngsten 3:1-Sieg in Ehingen zur Verfügung stehen: Der Verteidiger Max Weber (zuletzt beruflich verhindert) ist wieder dabei, dagegen fällt Daniel Juric (Sprunggelenkverletzung) neu aus. Und Kevin Kuranyi? Der kann diesmal nur aus der Ferne Daumen drücken für seine neuen Kollegen. Er hat sich fürs Erste in den Urlaub verabschiedet. Seinen Trainingsauftritt Nummer zwei in den Goldäckern wird es wohl erst Ende der nächsten Woche geben. Dann vermutlich ohne Selfies.