Fast nur noch Top Acts wie Rammstein im Juni dieses Jahres in Stuttgart finden ihr Publikum. Foto: chtgut/Max Kovalenko

Keinen Wirtschaftszweig hat es in der Pandemie stärker erwischt. Die Nachwehen sind groß. Und jetzt bedrängt die Energiekrise die Branche. Die Kosten steigen und das Publikum macht sich rar.

Christian Eichenberger und seine Branchenkollegen arbeiten seit Anfang 2020 fast durchgehend im Krisenmodus. „Wir wollen nicht noch einmal die vergessene Branche sein“, sagt das Mitglied im neuen Rat der Veranstaltungswirtschaft. Dieser sechstgrößte Wirtschaftszweig der Republik zählte einmal 1,1 Millionen Beschäftigte. Dann kam die Pandemie. Es gab keine Konzerte mehr, Clubs schlossen, Messen wurden gestrichen. Über die Hälfte der Beschäftigten seien in den ersten beiden Coronajahren abgewandert und bislang nur wenige wieder zurückgekommen, bilanziert der Branchenvertreter. „Weit über 30 Prozent unserer Mitarbeiter fehlen weiterhin“, schätzt er. Schon das erschwere den Neustart seiner Branche enorm.

„Ein Drittel aller Veranstaltungsanfragen mussten diesen Sommer mangels Personal abgelehnt werden“, sagt Eichenberger. Und jetzt komme die Energiekrise, die auf eine ausgezehrte und überschuldete Branche trifft. In der Konzertbranche seien die Kosten binnen kurzem um über ein Drittel gestiegen, sagt Mike Heisel, der auch im Branchenrat sitzt. „So viel können wir nicht auf die Ticketpreise umlegen“, betont er. Andere Kollegen würden über Preissteigerungen von bis zur Hälfte klagen. Dazu kommt, dass nur noch Topevents ausverkauft sind. In Zeiten sich leerender Geldbeutel sparen Deutsche zuerst an Ausgaben für Freizeitaktivitäten.

Ein dritter Krisenwinter droht

Für die Veranstaltungswirtschaft braut sich derzeit ein dritter Krisenwinter zusammen, den viele Firmen der Branche ohne neue Staatshilfen wohl nicht überstehen, warnt der Branchenrat nach einer jüngsten Konferenz des rund 240 000 Firmen umfassenden Wirtschaftszweigs. „Jeder zweite Betrieb braucht für die ersten drei Monate 2023 weitere Unterstützung“, sagt Eichenberger. Bis zu 1,5 Milliarden Euro könne das kosten, habe seine Branche errechnet. Das Geld brauche man zum Beispiel, um neues Personal anzuwerben. So soll der Bund die Möglichkeit schaffen, Branchenrückkehrern bis zu 3000 Euro steuerfrei zahlen zu können. Wenn im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie immer noch jeder dritte Mitarbeiter fehlt, sind das bei einer Branche mit einst 1,1 Millionen Beschäftigten gut 360 000 Leute.

Dazu kommt, dass sie in weiten Teilen finanziell ausgeblutet ist. „Mindestens die Hälfte unserer Unternehmen hat mehr als die Hälfte ihres Eigenkapitals verloren trotz aller Staatshilfen in der Pandemie“, stellt Eichenberger klar. Jeder zweite Betrieb hänge am Tropf von Krediten und wisse oft nicht, wie er sie zurückzahlen soll. Neue Aufträge müssten zugleich bei branchenüblichen Vorlaufzeiten von mehreren Monaten erst vorfinanziert werden. Dazu fehle das Geld, auch weil fast jedes zweite Unternehmen bei Bearbeitungszeiten von bis zu einem halben Jahr immer noch auf Coronahilfen warte. Ein Teufelskreis schließt sich.

Kredite zu bekommen ist zusehends schwieriger

Perfekt wird der Sturm dadurch, dass Banken die Branche derzeit unter Generalverdacht stellen und kaum neue Kredite vergeben, schildern Mitglieder des Branchenrats die Lage und fordern Staatskredite. „Wir sind in einer krassen Liquiditätsnot“, erklärt Eichenberger. Als Folge dieser Not sei seine Branche im ersten Quartal 2023 zu weniger als der Hälfte ausgelastet, nimmt man 2019 zum Maßstab.

Neue Überbrückungshilfen und auch eine Fortschreibung von Kurzarbeiterregeln seien deshalb bis mindestens April 2023 nötig. Manche Teile der sehr heterogenen Branche bräuchten bis in den nächsten Sommer hinein Hilfe, sollen sie vor dem Untergang gerettet werden. Kurzarbeiter müssten bis dahin auch weiter ein auf 80 bis 87 Prozent erhöhtes Kurzarbeitergeld bekommen, weil der Branche sonst noch mehr Personal davonläuft und niemand zurückkommt. „Das wäre der Todesstoß“, fürchtet Eichenberger.

Beim Bundeswirtschaftministerium sei man mit den Forderungen jüngst auf Verständnis gestoßen. Konkret in die Wege geleitet sei aber noch wenig. Vor allem aber stelle sich das Bundesfinanzministerium unter Christian Lindner (FDP) quer. „Dort hat man unsere Problemlage noch nicht verstanden“, fürchtet Eichenberger und hofft auf Umdenken. Seine Branche repräsentiere immerhin 81 Milliarden Euro Jahresumsatz zumindest, wenn nicht gerade Krise ist.