Der Ministerpräsident nimmt eine Algenprobe. Foto: Lichtgut/Rettig

Der Ministerpräsident blickt in die Labore eines Stuttgarter Start-ups, das die Quantentechnologie erforscht. Experten sehen einen Milliardenmarkt.

Mit dem Texterzeugungsprogramm ChatGPT ist die Leistungsfähigkeit von Künstlicher Intelligenz in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt – weitaus weniger bekannt sind die Potenziale der Quantentechnologie. Noch – denn dies wird sich angesichts der Chancen, die diese Technologie auch den Hightechunternehmen aus Baden-Württemberg eröffnet, in absehbarer Zeit ändern.

 

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich im Industriegebiet von Stuttgart-Vaihingen ein Bild von der Technik gemacht. Dort entwickelt das Start-up Quant unter anderem Quantensensoren und Quantencomputerchips, mit deren Hilfe Großrechner in Zukunft noch mehr Leistung bringen sollen.

Mit den Gedanken die Beinprothese steuern

„Die Quantentechnologie ist eine der zentralen Zukunftstechnologien“, so Winfried Kretschmann. „Unternehmen und Start-ups aus Baden-Württemberg sollen auch am Weltmarkt für Quantenlösungen eine wichtige Rolle spielen“, hofft der Ministerpräsident. Das in Vaihingen ansässige Start-up Quant ist eine hundertprozentige Tochter der Ditzinger Hightechfirma Trumpf. Am Standort in Vaihingen arbeiten derzeit 70 Mitarbeiter.

Kretschmann ließ sich in den Laboren des Start-ups zeigen, wie Quantentechnologien in Zukunft den Alltag von Menschen verändern könnten: Ein Magnetfeldsensor kann Signale des menschlichen Körpers aufnehmen. Von dieser Erfindung könnten eines Tages Patienten mit Arm- oder Beinamputationen profitieren. Der Sensor soll Nervensignale aufnehmen, sodass die Patienten dann ihre Prothesen mit ihren Gedanken steuern können sollen. Tests mit Patienten sollen anlaufen. Quant will den Sensor auf einer Industriemesse vorstellen.

Experten sehen einen Milliardenmarkt voraus

Weltweit haben Unternehmen in die Grundlagenforschung investiert – nun geht es um den nächsten Schritt: Produkte und Anwendungen sollen industriereif werden. Marktbeobachter räumen der Quantentechnologie enormes Potenzial ein: Die Boston Consulting Group schätzt das Marktvolumen im Bereich Quantencomputing inklusive neuer Produkte und Dienstleistungen auf bis zu 824 Milliarden Euro in den nächsten 15 bis 30 Jahren. Bis jetzt hat allein Quant 23 Patentfamilien angemeldet.

Das Start-up entwickelt in Stuttgart-Vaihingen Quantensensoren, mit denen sich Flüssigkeiten, Gase und Feststoffe vielseitiger und schneller messen lassen. Zudem hat das Unternehmen ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe es Quantencomputerchips vereinfacht herstellen und bei Raumtemperatur betreiben kann. Quantencomputer können Aufgaben lösen, welche für herkömmliche Computer heute unlösbar sind, da ihre Rechenprozesse viele Aufgaben gleichzeitig vernetzen können. Dadurch können sie komplexe Probleme effizienter und schneller bewältigen.

Bisher ungekannte Rechenleistungen

Was dies konkret bedeutet: Dank der wachsenden Rechenpower könne ein Quantencomputer den kompletten Schienenverkehr in Deutschland abbilden, heißt es bei Quant. Der Rechner wäre in der Lage, sämtliche Verspätungen einzukalkulieren und den Fahrplan von Dutzenden von Zügen in Bruchteilen von Sekunden zu verbessern.

„Wir stehen in diesem Jahrzehnt an einem Wendepunkt, an dem die Quantentechnologie die Forschungslabore verlässt und in der Industrie ankommt“, sagt Michael Förtsch, der Geschäftsführer von Quant. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in der Sensorik und in der Datenverarbeitung Quantentechnologien zum Industriestandard gehören.“ Peter Leibinger, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Trumpf, sprach in diesem Zusammenhang von einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Noch ist Geduld gefordert – und Kapital. Trumpf hat bisher laut eigenen Angaben einen zweistelligen Millionenbetrag in Quant investiert.

Was Baden-Württemberg mit der Technologie vorhat

Das Stuttgarter Start-up ist in den vergangenen Jahren mit vielen Interessenten für seine Quantensensoren zusammengekommen und hat dabei über konkrete Anwendungsfelder gesprochen. Zwei Beispiele: Ein Lebensmittelkonzern will mit den Sensoren das Kaffeepulver in seinen Mühlen messen, um dem Kaffee während des Mahlens das gewünschte Aroma zu entlocken. Ein Chemieriese möchte mit dem Sensor feinste Partikel in Stoffen aufspüren, damit er diese besser verarbeiten kann.

Baden-Württemberg plant offenbar, seine Unterstützung für Forschung und Anwendung auf diesem Gebiet demnächst auszuweiten. Angedacht ist eine Initiative, die mit dem Cyber Valley vergleichbar ist. Dabei unterstützt das Land einen Verbund von Firmen und Forschungseinrichtungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Dieser Leuchtturm könnte ein Vorbild für einen neuen Quantenverbund sein.