Mit Fantasie und handwerklichem Geschick haben Vereine und Schulklassen den Umzug anno 1965 gestaltet. Foto: privat

Neben der Formel 1 auf dem benachbarten Solitudering war das Kinder- und Heimatfest vor mehr als 50 Jahren das größte Ereignis in Vaihingen. Der ganze Ort war damals aus dem Häuschen.

Vaihingen - Kein Zweifel: Das größte Ereignis auf den Fildern in den 1950er und 1960er Jahren waren die Formel-1-Rennen auf dem Solitude-Ring. In der Zeit, als es ein oder zwei TV-Programme gab, musste man hin zum Ort der Unterhaltung. Für Vaihingen war ein solches Ereignis vor den Schulferien im Sommer das alljährliche Kinder- und Heimatfest des Bürgervereins mit dem großen Umzug, an dem sich alle Vereine beteiligten.

„Mit den Umzügen ging es meiner Erinnerung nach 1952 los“, sagt Inge Janle. Als Sportvereinsaktivistin hat die heute 80-Jährige damals maßgeblich an der Organisation der Umzüge mitgewirkt. „Der Festzug hat sich an der Kaltentaler Straße aufgestellt, ging dann zur Katzenbachstraße und an der Kirche vorbei erst einmal zum Bezirksrathaus, wo auf einer Tribüne die Honoratioren saßen“, erinnert sich Inge Janle. Danach sei es über die Robert-Koch-Straße und die Steigstraße nach Stuttgart-Rohr und von dort schließlich über die Krehlstraße zum Vaihinger Festplatz gegangen. „Jedes Jahr waren zwischen 90 und 100 Gruppen dabei. Es gab Zuschauer ohne Ende. Sogar die B 14 war gesperrt, so etwas wäre heute gar nicht mehr möglich“, sagt die umtriebige Seniorin.

Im Zimmereibetrieb wurden die Festwagen zusammengebaut

Die Initiatoren des Ereignisses seien der damalige Bezirksvorsteher Oskar Schopp und die in Bad Cannstatt geborene und in Sillenbuch lebende Sophie Tschorn (1891–1975), die im Radio Stuttgart die Kunstfigur „Gretle von Strümpfelbach“ geschaffen hatte, gewesen. „Sophie Tschorn war die Seele des Festes“, sagt Inge Janle. Sie sei historisch sehr beschlagen gewesen und habe Wert darauf gelegt, dass jeder Festumzug unter ein besonderes Motto gestellt worden sei und dafür Handwerkszweige oder Volksgruppen wie Germanen oder Gesellschaftsschichten der Vergangenheit wie die Ritter vorgeschlagen. „Unser erster Festzug stand unter dem Motto ,Vaihinger Winzer’, denn früher ist ja im Ort auch Wein angebaut worden, wie man an der Alten Kelter sieht“, sagt Inge Janle. Die Vereinsmitglieder hätten die Kostüme selbst genäht.

„Bei der damals in Vaihingen ansässigen Firma Brück und Flattig, ein Zimmereibetrieb, hat man die Festwagen gebaut, andere Firmen, darunter die Brauerei Leicht, haben ihre Lieferwagen zur Verfügung gestellt, und sowohl die Vereinsmitglieder als auch die Handwerker im Zimmereibetrieb haben natürlich auch geholfen“, erinnert sich Janle. Berüchtigt sei der Abbau gewesen. Die Firma Brück und Flattig habe die verwendeten Holzteile wieder gebraucht: „Man musste also jede Schraube mühsam herausdrehen und jeden Nagel einzeln wieder herausschlagen. Moderne Hilfen wie Kreuzschrauben und Akkuschrauber gab es damals noch nicht.“

Inge Janle erinnert sich: „Den letzten Festzug gab es nach einer längeren Pause anlässlich des 900-Jahr-Jubiläums von Vaihingen im Jahre 2000.“ Zuvor hätten die Umzüge Ende der 1970er Jahre aufgehört: „Die Schulen mit den vielen Kindern haben sich nicht mehr beteiligt. Es hat zunehmend Bedenken wegen der Sicherheit gegeben, und den Lehrern ist das Risiko zu groß geworden.“