US-Präsident Trump rüttelt bei einem Wahlkampfauftritt in Nevada an der Weltordnung. Foto: AP

Wie wichtig ist der INF-Abrüstungsvertrag mit Russland, den US-Präsident Trump nun aufkündigen will? Und werden in Europa deshalb wieder Nuklearraketen stationiert? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Rüstungsdebatte.

Berlin - US-Präsident Donald Trump hat die Welt schon oft erschreckt. Aber seine Ankündigung, dass die USA vom INF-Vertrag über das Verbot von nuklearen Kurz- und Mittelstreckenraketen zurücktreten wollen, übertrifft andere Schreckensnachrichten aus dem Weißen Haus. Weltweit ist die Besorgnis groß, dass es jetzt zu einem neuen atomaren Wettrüsten kommen kann.

Was ist der INF-Vertrag?

Unterschrieben haben diesen zentralen Abrüstungsvertrag US-Präsident Ronald Reagan und der Staatschef der UdSSR Michael Gorbatschow am 8. Dezember 1987. Sie vereinbarten, dass beide Seiten weltweit sowohl ihre landgestützten Nuklearraketen mit kürzerer und mittlerer Reichweite (bis 5500 Kilometer) als auch deren Abschussvorrichtungen innerhalb von drei Jahren vernichten und keine derartigen Waffen neu herstellen. Die mittlere Reichweite gab dem Vertrag seinen Namen: Intermediate Range Nuclear Force (INF). Sowohl die USA als auch die Sowjetunion setzten die Vereinbarung um. Die USA zerstörten 846, die Sowjetunion insgesamt 1846 Raketen. Die letzte Rakete aus den Arsenalen des Kalten Krieges wurde im Mai 1991 demontiert.

Wieso ist dieser Vertrag so wichtig?

Der Vertrag war Ende der achtziger Jahre ein zentraler Schritt zur atomaren Abrüstung. Die SS-20-Raketen der UdSSR und die Pershing-Raketen der US-Streitkräfte waren Waffensysteme mit hohem Zerstörungspotenzial für Ziele in ganz Europa. Deutschland wäre zentrales Schlachtfeld eines Atomkrieges geworden: In der DDR hatte die Sowjetarmee Raketen stationiert, in Westdeutschland waren es die Pershings der US-Armee. Gerade die Mittelstreckenraketen, die in Deutschland stationiert waren, wurden zum zentralen Symbol der Auseinandersetzungen um Nuklearwaffen und die Gefahr eines Atomkriegs zwischen dem Ostblock und dem Westen. Die Auseinandersetzung über Abrüstung, Nachrüstung und den Nato-Doppelbeschluss machte damals die Friedensbewegung stark. Das Thema trieb in den achtziger Jahren Hunderttausende Menschen auf die Straße.

Wieso kommt es darauf heute noch an?

Tatsächlich bindet das Abkommen die Partner im Verzicht auf nukleare Kurz- und Mittelstreckenraketen bis heute. US-Präsident Trump hat den Rückzug vom INF-Vertrag damit begründet, dass Russland sich nicht daran halte. Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein: Beim jüngsten Nato-Gipfel im Juni hat die Allianz Russland einmütig vorgehalten, neue Mittelstreckenwaffen zu entwickeln und auch zu stationieren.

Wie reagiert Moskau?

Die Vorwürfe Trumps weist Russland empört von sich. Moskau sieht sich mit einer „lächerlichen Hetzkampagne“ und „fadenscheinig dünner Beweislage“ an den Pranger gestellt. Moskau erklärt seinerseits, die USA würden mit dem Aufbau eines Nato-Raketenabwehrsystems in Rumänien den Abrüstungsvertrag unterlaufen. Dort, so das Argument, sei auch das Abschießen atomarer Mittelstreckenraketen möglich. Die Nato betont jedoch, das System sei lediglich defensiv.

Union und SPD wollen den Abrüstungsvertrag doch noch retten

Wie will Berlin reagieren?

Regierungssprecher Steffen Seibert bedauerte die Entscheidung der USA und würdigte den INF-Vertrag als besonders wichtiges Instrument der Rüstungskontrolle. Die Bundesregierung werde sich nun mit den Verbündeten abstimmen. „Wir müssen uns für den Erhalt und gegebenenfalls auch für eine Fortentwicklung des INF-Vertrages einsetzen“, forderte der CDU-Politiker Henning Otte. Auch der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid bekannte sich dazu, über „Lücken und Unstimmigkeiten“ in dem Abkommen zu reden – aber nur auf Grundlage des bestehenden Vertrags. Die EU-Kommission appellierte an die USA und Russland, das INF-Abrüstungsabkommen zu erhalten.

Was fordert die Opposition?

Linke und Grüne sind entsetzt über Trumps Pläne und forderten die Bundesregierung auf, sich gerade jetzt für Rüstungskontrolle einzusetzen. Die Linke-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht forderte den Abzug der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen. Auch die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger sprach sich dafür aus, „die nukleare Teilhabe endlich zu beenden“. Trump scheine es egal zu sein, welchen „immensen Scherbenhaufen“ er hinterlasse. Weil die Kündigung des INF-Vertrags die Sicherheitslage vor allem in Deutschland und Europa verschlechtere, so der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff, müsse die Bundesregierung auf einen Sondergipfel der Nato dringen.

Befinden sich denn im Moment Atomwaffen in Deutschland?

Es gilt als offenes Geheimnis, dass auf dem Bundeswehr-Stützpunkt in Büchel noch etwa 20 Atombomben lagern. Sie heißen B61-4, sind 3,58 Meter lang, sehen aus wie kleine Raketen und haben eine Sprengkraft von bis zu 50 Kilotonnen. Im Ernstfall sollen sie von „Eurofighter“-Kampfjets der Bundeswehr an ihr Ziel gebracht und abgeworfen werden. Im Nato-Jargon nennt man das „nukleare Teilhabe“. Die Stationierung ist höchst umstritten. Im Wahlkampf befürwortete sogar SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz einen Abzug. Allen Umfragen zufolge ist auch ein Großteil der Bevölkerung dafür.