R.E.M-Sänger Michael Stipe, einst armer Kunststudent, besitzt heute in Athens ein Restaurant und diverse Immobilien – und hat politischen Einfluss. Foto: Almimdi.net/Adrian C. Nitu

Die Universitätsstadt in Georgia ist ein Mekka für Rockfans. Kommende Woche tobt hier das "AthFest".

Die Kanone vor der säulengeschmückten City Hall weist mit der Mündung gen Norden. "Passt lieber auf, wenn ihr Yankees seid", sagt Paul Butchart schmunzelnd. Die Double Barrel Cannon mit ihren zwei Kanonenrohren sei eine gefährliche Waffe im amerikanischen Bürgerkrieg gewesen, berichtet der Stadtführer. Allerdings eher für die Konföderierten, denen die durch eine Kette verbundenen Kugeln schon beim ersten Testversuch um die eigenen Ohren flogen. Vielleicht hat dieser Rohrkrepierer seinen Teil dazu beigetragen, dass Athens vom verheerenden Brandfeldzug General Shermans verschont blieb. Jedenfalls kann Georgias "Classic City", wie sie auch genannt wird, heute mit ihrer Fülle authentischer Gebäude den nördlichen Ausgangspunkt des viel besuchten Antebellum Trails durch Georgia bilden.

Jüngere Besucher zieht es aus einem anderen Grund in die überschaubare 114000-Einwohner-Stadt. Gewiss schätzen sie die schönen alten Häuser, die Boutiquen und Galerien. Sie erkunden auch gern die blühende Restaurantszene, wo in Lokalen wie "Farm 255" bodenständige, raffiniert mit Produkten aus eigenem Anbau zubereitete Südstaaten-Küche aufgetischt wird. In erster Linie ist Athens für sie aber das Mekka des Indie-Rock. Sie möchten auf den Spuren berühmter Bands wie B-52s oder R.E.M. wandeln.

Auch der Sänger und Songwriter Vic Chesnutt lebte bis zu seinem Tod im Dezember 2009 in Athens. Auf diese Musiktouristen hat sich Paul Butchart spezialisiert. Als Schlagzeuger der Band The Side Effects gehört er zum Urgestein der örtlichen Musikszene. "Als R.E.M. ihren ersten Auftritt in Athens hatten, waren wir die Vorgruppe", sagt Butchart augenzwinkernd. Ausgestattet mit einem dicken Ordner alter Fotos und Plattenhüllen und jederzeit bereit, eine amüsante Anekdote zum Besten zu geben, führt er die Teilnehmer der "Tour of Athens Music History" direkt zu den Orten ihrer Träume. Am Railroad Trestle, einer monumentalen Eisenbahn-Holzbrücke, kann man sich mit dem Cover der ersten R.E.M.-Platte fotografieren lassen, auf deren Rückseite das Bauwerk abgelichtet ist.

Zum Lunch mit Catfish und Sweet Ice Tea pflegt Butchart in WeaverD's "Automatic for the People"-Diner einzukehren, Titelgeber für R.E.M.s erfolgreichstes Album. Mit etwas Glück kann man auch einen Blick in John Keanes legendäres Tonstudio an der Hillcrest Avenue werfen. Besucher, deren musikalisches Gedächtnis etwas weiter zurückreicht, werden sich zudem das ehrwürdige Morton Theatre anschauen, wo einst Bessie Smith, Duke Ellington und Blind Willie McTell auftraten. "Nachts war dies der höchste Punkt der Stadt", sagt Butchart, vielsagend mit der Doppelbedeutung des Worts "high" spielend.

Wir sind auf dem Oconee Hill Cemetery angelangt. Wenn die Clubs in der Stadt um Mitternacht schlossen, zog es die Jugend zum Abhängen auf den Friedhof. Eine kleine Steinpyramide markiert das Grab von B-52s-Gitarrist Ricky Wilson. Die letzte Ruhestätte des 1985 gestorbenen Musikers ist bis heute Ziel pilgernder Fans. Die Universitätsstadt Athens, die mit Austin, Texas, in Konkurrenz um den Titel Best College Music Town steht, ist sehr weltoffen. Exzentriker wie R.E.M-Sänger Michael Stipe sind in dem studentisch geprägten Ort wohlgelitten. Stipe, einstmals ein mittelloser Kunststudent, ist heute als Eigentümer des vegetarischen Restaurants The Grit und weiterer Immobilien ein Mann mit durchaus politischem Einfluss. Mehr als 30 Live-Clubs lassen Athens das ganze Jahr über vibrieren. Wem das nicht reicht, der muss im Juni zum "AthFest" kommen. Dann ist das Stadtzentrum für Autos gesperrt, zwei Open-Air-Bühnen sorgen neben den Clubs für Auftrittsmöglichkeiten. Selbst in der örtlichen Brauerei wird gerockt. Der Besitzer hat die Terrapin Brewery nach einer Platte seiner Lieblingsband Grateful Dead benannt. Typisch Athens.

Georgia

Anreise
Delta Air Lines fliegt nonstop von Stuttgart, Zürich, Frankfurt und München. Athens liegt eine gute Autostunde vom Flughafen Atlanta entfernt.

Sehenswürdigkeiten
Abstecher von Athens empfehlen sich zum Beispiel zum Goldwaschen und zu einer Weinprobe nach Dahlonega. An den sonnenverwöhnten Berghängen Nordgeorgias am Rande von Dahlonega wird seit wenigen Jahren exzellenter Wein produziert (Black Stock Vineyards & Winery, www.bsvw.com). In Athens beginnt der historische Antebellum Trail, eine 160 Kilometer lange Touristenstraße nach Macon, auf der sich eine säulenbewehrte Villa an die andere reiht, www.antebellumtrail.org.

Unterkunft
Nur wenige Minuten Fußweg von den Musikclubs und dem Universitätscampus entfernt liegt das für gutes Design und grünes Bewusstsein ausgezeichnete Hotel Indigo, www.indigoathens.com.

Veranstalter
Meier's Weltreisen hat eine Mietwagen-Südstaatenrundreise mit Stop in Athens im Programm, www.meiers-weltreisen.de.

Allgemeine Informationen
Georgia Tourism, Bielefeld, Tel. 0521/986-0425, www.georgia-usa.de. Infos über das "AthFest", das in diesem Jahr vom 22. bis zum 26. Juni in Athens stattfindet, sind zu finden unter www.athfest.com oder unter www.visitathensga.com