Dustin Hoffman in „Luck“ Foto: HBO

Das US-Fernsehen hat den Autor entdeckt. Serien wie „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ setzen damit Maßstäbe bei der TV-Unterhaltung. Deutschland, der größte Fernsehmarkt Europas, ist bei Serien dagegen Entwicklungsland. Ein Symposium in Stuttgart hat sich an einer Bestandsaufnahme versucht.

2013 war ein miserables Jahr. Zumindest für das Kino. Viele als Blockbuster konzipierte Streifen floppten, und immer mehr Kreative der Branche nahmen Reißaus – nachdem bereits David Fincher, Steven Spielberg, Dustin Hoffman oder Kevin Spacey zum Fernsehen übergelaufen sind, wollen jetzt auch Jon Voight, Halle Berry oder Robert De Niro lieber in TV-Serien als in Hollywoodfilmen mitspielen. Steven Soderbergh („Traffic“, „Ocean’s Eleven“) hat ebenfalls genug vom Film: „Das Kinopublikum scheint sich nicht mehr für ambivalente, komplexe Figuren und Erzählungen zu interessieren“, hat er in einem Interview gesagt: „Solche Qualitäten werden heute im TV mehr geschätzt.“

Als vor vier Jahren die erste „Autorenserien“-Tagung an der Merz-Akademie in Stuttgart stattfand, war das Phänomen der Qualitätsserien noch ziemlich neu und unerforscht. Inzwischen sind Lobeshymnen auf Serien wie „Breaking Bad“ oder „Mad Men“, auf stilprägende Sender wie HBO zum Allgemeinplatz geworden. Am Wochenende ging es beim „Autorenserien II“-Symposium in der Merz-Akademie daher nicht mehr unbedingt darum zu beweisen, wie hochwertig und anspruchsvoll TV-Serien heute sein können, sondern darum, welche produktionstechnischen Bedingungen diese neue Ästhetik ermöglichen – und um die Frage, warum Serien aus den USA so gut und die deutschen so schlecht sind.

Bei einem von Christoph Dreher (Merz-Akademie) moderierten Podiumsgespräch mit Marcus Ammon (Sky Atlantic), Wolfgang Feindt (ZDF) und Alain Bieber (Arte) war die Schuldige schnell gefunden: die Einschaltquote. Die besten Serien werden in den USA von den Pay-TV-Sendern HBO („Boardwalk Empire“, „Game Of Thrones“), AMC („Mad Men“, „Breaking Bad“) oder Showtime („Homeland“) produziert. Wichtig ist denen nicht, wie viele Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt einschalten, sondern wie viele ein entsprechendes Kabelangebot abonniert haben. Weil die Pay-TV-Sender zudem nicht auf Werbekunden Rücksicht nehmen müssen, können sie sich auch an unbequeme Stoffe wagen.

Die von Soderbergh kritisierte Finanzpornografie des US-Filmgeschäfts könnte dagegen mit der Quotenpornografie des deutschen Fernsehens gleichgesetzt werden. Selbst für die öffentlich-rechtlichen Sender sind die Einschaltquoten das Maß aller Dinge. Wer es aber allen recht machen will, schafft im besten Fall Mittelmaß, keinesfalls Qualität. Wer besseres Fernsehen auch aus Deutschland will, muss auf größeren Mut bei den Senderverantwortlichen hoffen. Oder darauf, dass Sky sein Versprechen wahr macht, nach HBO-Vorbild auch in Deutschland eigene Serien zu produzieren. Allzu bald sei damit aber noch nicht zu rechnen, sagte Ammon: „Wir reden aber schon eine ganze Weile darüber.“

So findet bis auf weiteres die Qualitätsoffensive des seriellen Erzählens im Fernsehen weitgehend ohne deutsche Beteiligung statt. Zwar räumt Stewart Lyons, Produktionsleiter bei der Serie „Breaking Bad“, einen Mythos aus der Welt: „Das US-Fernsehen ist nicht so gut, wie Sie glauben. Es ist grässlich. Sie haben nur Glück, dass Sie nur die allerbesten Serien zu sehen bekommen.“ Trotzdem ist er überzeugt, dass die Zeiten, um qualitativ hochwertiges Fernsehen zu machen, „nie besser waren als heute“.

Auch Cathryn Humphris, die an der dritten Staffel von „Mad Men“ mitgeschrieben hat, glaubt, dass Autoren nie zuvor so sehr den kreativen Prozess bis zum Endergebnis bestimmen konnten wie heute. Während im Kino Produzenten oder Regisseure das Sagen haben, entscheiden in Fernsehserien Autoren, die sogenannten Showrunner, nicht nur über die Weiterführung der Handlung und die Charaktere, sondern bestimmen auch die Ästhetik einer Serie.

TV-Autoren wie Vince Gilligan („Breaking Bad“) oder Matthew Weiner („Mad Men“) oder Eric Overmyer („Treme“), der einer der Gäste des Symposiums war, haben bei allen Entscheidungen das letzte Wort, prägen die Serien mit ihrer Handschrift. Die Aneignung des Modells des europäischen Autorenfilms auf TV-Serien ist maßgeblich für deren Qualität verantwortlich.

Ein anderer großer Serienautor des USFernsehens ist David Milch. Dessen letzten Arbeiten blieben jedoch Fragmente. Milchs Pferderennbahndrama „Luck“ etwa wurde nach neun Folgen von HBO abgesetzt, weil beim Dreh Pferde verunglückten. Dieser unvollendet gebliebene Fernsehroman mit Dustin Hoffman führt trotzdem eine im Kino unmögliche Ausführlichkeit der Narration und Gründlichkeit der Charakterentwicklung, ein Nebeneinander an Erzählungen vor. Dietrich Dietrichsen erkennt in „Luck“ Bezüge zu Doderer und Musil und erklärt das Serienfragment letztlich zur eigenständigen Kunstform des 21. Jahrhunderts.

„Doch niemand weiß, wie es mit dem amerikanische Fernsehen weitergehen wird“, dämpft Cathryn Humphris die Euphorie. Es gibt Stimmen, die glauben, dass das goldene TV-Serien-Zeitalter 2016 enden könnte. Denn wie HBO um die Jahrtausendwende mit Serien wie „Die Sopranos“ oder „The Wire“ das Fernsehgeschäft auf den Kopf stellte, krempelt zurzeit der Online-Dienst Netflix den Markt um. Netflix hat in den USA bereits 33 Millionen Abonnenten und mit „House Of Cards“ seine erste eigenen Qualitätsserie produziert – und alle Episoden auf einmal für zahlende Kunden online verfügbar gemacht. Die Frage, wie sich dieses Geschäftsmodell auf traditionelle Sender, auf die Qualität der Serien und die Sehgewohnheiten der Zuschauer auswirkt, empfiehlt sich als Diskussionsstoff des nächsten „Autorenserien“-Symposiums.