John Baldessari (1931-2020) steht in seiner Installation „Backsteingebäude, große Fenster mit exzellenter Aussicht, teilmöbliert, namhafter Architekt“ Foto: dpa/Bernd Thissen

John Baldessari ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er war ein Meister der Konzeptkunst und der skurrilen Collagen.

Santa Monica - Den Mut zur Lücke entdeckte John Baldessari beim Besuch im Museum. Die griechischen Vasen im Metropolitan Museum hatten es ihm angetan – genauer genommen der unbemalte Gips, mit dem fehlende Stücke ausgebessert wurden. Auch Baldessari fragte sich: Wie verändert sich ein Bild, wenn Teile entfernt oder überdeckt werden? In Fotografie, Malerei und Text stellte er die Funktionsweise künstlerischer Medien infrage und kommentierte die Gesellschaft dabei schmunzelnd. Wie seine Stiftung am Sonntag bestätigte, starb Baldessari bereits am Donnerstag im Alter von 88 Jahren.

Der Kalifornier zählte zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart. 2009 erhielt er für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig. Drei Jahre später wurde ihm der Kaiserring der Stadt Goslar verliehen. Der damalige US-Präsident Barack Obama zeichnete Baldessari im September 2015 mit der National Medal of Arts (für 2014) aus, der höchsten Würdigung der US-Regierung für Künstler.

Die Kunst der Lücke

Mit skurrilen Collagen und unerwarteten Bildkompositionen konnte der weißbärtige Zwei-Meter-Mann bei so manchem Betrachter ein Lächeln hervorrufen. Doch auf den zweiten Blick setzte bei vielen Verwunderung ein, wenn das Radikale an Baldessaris Kunst sichtbar wurde. Sein spöttischer Ton galt nicht selten der Kunstwelt und dem modernen Kunstbetrieb. Eine Frische und Relevanz bewahrte er sich auch nach den über tausend Gruppen- und 200 Einzelausstellung seiner Karriere weltweit.

Die Kunst der Lücke wurde dabei zu Baldessaris Taschenspielertrick. „Manchmal entfernt er das Ding, das am offensichtlichsten mitten in deinem Blickfeld liegt, zwingt dich, fast zum ersten Mal alles andere anzugucken, um einen neuen Sinn für das Gesehene zu schaffen“, fasste Michael Govan, Direktor des Los Angeles County Museum of Art (LACMA) zusammen. Genau das bedeute Konzeptkunst schließlich, zu deren wichtigsten Vertretern Baldessari zählte: dass eine künstlerische Idee erst im Kopf des Betrachters zu Kunst wird.

Handgemalte Phrasen

Eine große Lücke klaffte auch in der Kunstszene im kalifornischen National City nahe der mexikanischen Grenze, wo Baldessari 1931 geboren wurde. Mit handgemalten Phrasen auf Leinwand versuchte er in jungen Jahren, die Sprache in ein Objekt zu verwandeln und Texte wie Bilder zu nutzen. Der Küstenstaat blieb auch nach dem Studium sein Zuhause, wo er lebte (Santa Monica), unterrichtete (Los Angeles) und arbeitete (Venice). Zu seinen Schülern zählten unter anderem David Salle, Mike Kelley und Tony Oursler.

Die Kunst schien ihn erst ins Nirgendwo zu führen – Baldessari hatte keine Galerie, kein Publikum, keine Käufer. So verbrannte er 1970 nahezu alles, was er vorher erschaffen hatte, und versprach sich selbst den Neuanfang: „Ich werde keine langweilige Kunst mehr machen“, heißt sein Film von 1971 übersetzt, in dem er diesen Satz wieder und wieder aufschreibt, bis das Band ausläuft.

Humor als Trittstein

Seine Ideen trieb Baldessari unter anderem in Fotomontagen weiter, die er drittklassigen Filmen entnahm und in neuen Kontext brachte. Die Serie „Frames and Ribbon“ von 1988, bei der er bunte Aufkleber über menschliche Gesichter in Schwarz-Weiß-Fotos setzte, blieb wohl seine bekannteste. Baldessari selbst sagte, er werde wohl in Erinnerung bleiben als „der Typ, der Punkte auf die Gesichter von Leuten setzte“. Die runden Sticker, die im Kunsthandel an verkaufte Arbeiten geklebt werden, waren ein satirischer Kommentar zum Kunstmarkt.

John Baldessari versuchte sich in fast jedem künstlerischen Medium, darunter auch in Performances, Videos und an einer Smartphone-App. Geltende Regeln und das Grundverständnis darüber, wie ein Medium funktioniert, hebelte er regelmäßig aus. Humor war dabei nie Selbstzweck, sondern Trittstein zum Nachdenken über die Weise, wie Menschen die Welt betrachten. „Ich vergleiche meine Arbeit immer mit der eines Krimiautors“, sagte er dem „Interview Magazine“ 2013. „Du willst nicht gleich wissen, wie das Buch ausgeht.“