Kamala Harris auf dem Parteitag ihrer demokratischen Partei Foto: AFP/Saul Loeb

Rekordspenden, Umfrageschub und Begeisterungswelle: Kamala Harris erlebt einen politischen Honeymoon sondergleichen. Doch die Kandidatin hat Schwachstellen, die in den kommenden Wochen auf die Probe gestellt werden.

Es lag an Barack Obama, den Demokraten beim Krönungsparteitag in Chicago einen Schuss Realität einzuimpfen. „Trotz all der unglaublichen Energie, die wir in den vergangenen Wochen erzeugt haben“, mahnte er die Parteifreunde aus eigener Erfahrung, „wird es ein knappes Rennen in einem tief gespaltenen Land sein.“

Wohl wahr. Nach Stand der Dinge steht der Ausgang der Präsidentschaftswahl am 5. November auf Messers Schneide. Entschieden wird sie in sieben sogenannten Swing States, in denen Harris und Donald Trump im Bereich der Irrtumswahrscheinlichkeit der Umfragen auseinanderliegen. In Pennsylvania, Michigan und Wisconsin liegt die Demokratin knapp vorn, in Arizona, Georgia, Nevada und North Carolina der „Make-America-Great-Again“-Kandidat.

„Nur nicht übermütig werden“

Selbst wenn der Trend für Harris zurzeit überall nach oben geht, sind die Margen so knapp, dass jeder Fehltritt, Skandal oder eine „Oktober“-Überraschung die Dynamik verändern kann. „Nur nicht übermütig werden“, warnt Obamas Architekt der Wahlsiege von 2008 und 2012, David Axelrod. Zumal vor dem überraschenden Rückzug Joe Bidens vor vier Wochen noch Zweifel bestanden, ob Kamala Harris überhaupt das Zeug hat, ihn an der Spitze des Tickets zu ersetzen.

Ihre Umfragewerte als Vizepräsidentin waren oft schwächer als die Bidens. Sie hatte sich beim Umgang mit der Krise an der Südgrenze zu Mexiko nicht mit Ruhm bekleckert. Geschichten über unzufriedene Mitarbeiter und Personalquerelen verfolgten sie. In Interviews servierte Harris zuweilen unverständlichen Wortsalat. Und ihren Auftritten fehlte die Energie.

Dass sie all dies binnen vier Wochen in eine „Kamalamania“ verwandelte, erklären Meinungsforscher mit der Unzufriedenheit der Wähler mit der vorherigen Alternative. Die beiden alten weißen Männer Biden und Trump lieferten sich einen Unbeliebtheitswettbewerb. Das hatte Trumps innerparteiliche Konkurrentin bei den Vorwahlen, Nikki Haley, seinerzeit zu einer Prophezeiung veranlasst. „Die erste Partei, die ihren 80-jährigen Kandidaten kippt, wird die Wahl gewinnen.“ Kamala Harris verkörpert diese Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch sie bleibt ungetestet. Sie vermied den innerparteilichen Wettbewerb der Vorwahlen und trat beim Parteitag ohne Gegenkandidaten an. Bisher hat sie sich weder scharfen Nachfragen in einem ausführlichen Interview stellen müssen, noch hat sie eine Krise im Wahlkampf durchgestanden.

Nichtwähler als Zünglein an der Waage?

Die nächste vorhersehbare Hürde ist die Präsidentschaftsdebatte mit Donald Trump am 10. September in Philadelphia, falls es dazu kommt. Punktsiege in diesen Debatten helfen Kandidaten in der Regel nicht, aber Desaster können nachhaltig schaden.

Entschieden werden die Wahlen nicht bei den eingefleischten Parteigängern, sondern denen, die schlecht informiert sind oder sich in der Regel nicht beteiligen. Davon könnten nach Einschätzung des demokratischen Strategen Jim Messina fünf Prozent erreichbar sein. Für Harris komme es im November darauf an, „ob einige dieser Wähler tatsächlich zur Urne gehen“.