Noch im Mai sollen in Hamburg die bundesweit ersten Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge in Kraft treten. An den betroffenen beiden Straßenabschnitten – hier an der Max-Brauer-Allee – werden bereits die entsprechenden Schilder montiert. Foto: dpa

Das Bundesverwaltungsgericht hält Diesel-Fahrverbote in Städten unter bestimmten Voraussetzungen auch jetzt schon für rechtmäßig.

Stuttgart - Im Sport würde man sagen: die haben gerade einen Lauf. So jedenfalls fühlt sich Jürgen Resch, der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Am Donnerstag die Ankündigung der Europäischen Kommission gegen fünf Länder, darunter Deutschland, wegen fortgesetzten Verstoßes gegen die Stickstoffdioxid-Grenzwerte Klage vor dem europäischen Gerichtshof zu erheben, am Freitag die schriftliche Begründung des Ende Februar verkündeten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, über das sich Resch am Freitag gar nicht einkriegen kann vor Freude. „Klasse, grandios“ – die Superlative sprudeln nur so aus dem Mund des Mannes, der für manche Autofreunde in der Industrie und auf der Straße das rote Tuch schlechthin ist. Er fordert, dass nun rasch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ausgesprochen werden – „noch in diesem Herbst“, sagt er.

In der Tat setzt die Urteilsbegründung die Behörden von Bund, Land und Stadt unter Druck. Sie müssen mehr unternehmen gegen die seit über einem Jahrzehnt anhaltenden Grenzwertüberschreitungen mit Luftschadstoffen an hoch belasteten Bereichen wie dem Stuttgarter Neckartor, das seinen Titel als „schmutzigste Kreuzung Deutschland“ erst vergangenes Jahr gen München abgeben konnte. Doch zu konkreten Maßnahmen wollten sich am Freitag weder das Land noch die Stadt Stuttgart äußern.

Worum geht es?

Die Umwelthilfe hatte vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart durchgesetzt, dass Fahrverbote für Dieselfahrzeuge unterhalb der Euro-6-Norm zulässig sind. Dagegen hatte das Land beim Bundesverwaltungsgericht Revision eingelegt. Die höchsten Verwaltungsrichter in Leipzig entschieden Ende Februar, dass Fahrverbote zulässig sind, aber verhältnismäßig sein müssen. In einer ersten Stufe könnten Verbote für Fahrzeuge bis zur Abgasnorm 4 erlassen werden, nicht vor dem 1. September 2019 dürften jüngere Euro-5-Fahrzeuge davon betroffen sein. Was genau unter Verhältnismäßigkeit zu verstehen ist, blieb offen.

Was steht in der Urteilsbegründung?

In der mehr als 30 Seiten umfassenden Urteilsbegründung erklären die Richter, dass „die nähere Ausgestaltung des in Betracht zu ziehenden Verkehrsverbots angemessen und für die vom Verbot Betroffenen zumutbar sein muss“. Es müsse aber zwischen zwei Möglichkeiten unterschieden werden: streckenbezogenen Verboten, die nur einzelne Straßen betreffen, und zonalen Verboten, die ein zusammenhängendes Netz umfassen. Die streckenbezogenen Verbote „gehen ihrer Intensität nach nicht über sonstige straßenverkehrsrechtlich begründete Durchfahrt- und Halteverbote hinaus, mit denen Autofahrer stets rechnen und die sie grundsätzlich hinnehmen müssen“. Soll heißen: Umwege und Abstellverbote auf der betroffenen Straße sind zu akzeptieren, auch von Anliegern und Anwohnern, die keinen Anspruch auf die Fahrt „bis unmittelbar vor die Haustür“ hätten, wie die Richter schreiben.

Was ist mit zonalen Verboten?

Für Verbote, die eine Vielzahl von Haupt- und Nebenstraßen und ein ganzes Netz betreffen, sieht das Gericht ein andere Situation. Anwohner müssten bei solchen Verboten ihr Fahrzeug verkaufen, auch für Autofahrer, die nur durchfahren wollten, stelle das Verbot einen „erheblichen Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit“ dar. Deshalb verlangen die Richter eine „phasenweise Einführung“: In einer ersten Stufe könne das Verbot Fahrzeuge bis zur Abgasnorm 4 erfassen, für die neueren Euro-5-Dieselfahrzeuge käme ein Verbot frühestens zum 1. September 2019 in Betracht. Dieser Zeitpunkt liege vier Jahre nach Inkrafttreten der Euronorm. Damit sei gewährleistet, dass die Eigentümer eines Euro-5-Fahrzeugs dies mehr als drei Jahre nutzen konnten. Ein „weitergehender Vertrauensschutz“ sei nicht nötig, da die Käufer ja hätten wissen können, dass die Vorschriften verschärft würden.

Was sagt das Gericht sonst?

Die Behörden sind laut der Begründung verpflichtet, besonders bei Verboten für Euro-5-Autos die Entwicklung der Grenzwertüberschreitungen zu beachten. „Sollten Grenzwertüberschreitungen deutlich stärker als bisher prognostiziert abnehmen, wäre hierauf gegebenenfalls mit einem Verzicht auf die oder eine spätere Einführung eines Verkehrsverbots, jedenfalls für Dieselfahrzeuge, die der Abgasnorm 5 gerecht werden, zu reagieren.“ Außerdem regen die Richter Ausnahmeregelungen für Handwerker und bestimmte Anwohnergruppen an. Eine Entschädigung für betroffene Autofahrer schließen sie aus. Einwände, dass ein Verbot nicht zu kontrollieren wäre und dass es kein geeignetes Schild gebe, weisen sie zurück.

Wie geht es weiter?

Im baden-württembergischen Verkehrsministerium wird zunächst gebremst. Zuerst werde man die Urteilsbegründung „sorgfältig analysieren und bewerten“, dann in der grün-schwarzen Landesregierung eine „gemeinsame Position entwickeln“ und schließlich ein „entsprechendes Konzept vorlegen“, heißt es. Auch im Stuttgarter Rathaus hält man sich bedeckt. Die Experten prüften die Begründung und würden dann entscheiden, ob und welche Maßnahmen ergriffen werden. Dabei ist klar, dass der Kurs, den Verkehrsminister Winfried Hermann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide Grüne) gegenüber unserer Zeitung verkündeten, schwer zu fahren sein wird: die Vorgaben des Gerichtes einhalten und alles Mögliche unternehmen, um Fahrverbote zu vermeiden. Wenn der Luftreinhalteplan überarbeitet werden muss, ist dafür ein Kabinettsbeschluss nötig. Auch die Stadt Stuttgart ist gefragt – und Verbände und Bürger, die sich bei einer öffentlichen Auslegung dazu äußern können und deren Einwände geprüft werden müssen. Das kann dauern.

Was fordert die Umwelthilfe?

Dem Schweigen der Politik setzt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch klare Forderungen entgegen. „Wir verlangen Diesel-Fahrverbote umgehend in die Lufteinhaltepläne aufzunehmen und noch in 2018 umzusetzen“, erklärte die DUH. Dies sei sofort auf Hauptverkehrsstraßen für alle Dieselfahrzeuge bis einschließlich Euro 5 zulässig, in Umweltzonen für solche, die schlechter als Euro 5 sind. Allerdings geht Resch noch weiter. Er will vor Gericht klären lassen, ob auch Euro-6-Diesel mit Betrugssoftware unter Fahrverbote fallen. Er forderte, dass die betroffenen Fahrzeuge nachgerüstet oder zurückgenommen werden.