Mit voller Wucht: Den Rettern bietet sich am 23. Februar 2024 ein schreckliches Bild am Unfallort in Wangen. Foto: Andreas Rosar

Das Amtsgericht verurteilt eine 48-Jährige zu zehn Monaten Haft auf Bewährung – und sieht in dem Horrorunfall in Wangen 2024 „ein erhebliches Mitverschulden der SSB“.

Eine frühere Stadtbahnfahrerin ist nach dem Horrorunfall mit zwei SSB-Zügen im Februar 2024 in Wangen am Donnerstagnachmittag vom Amtsgericht zu einer Haftstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Die heute 48-Jährige war wegen einer Vorerkrankung auf der Fahrt eingeschlafen und auf eine stehende Bahn aufgefahren. Bei der Kollision gab es 17 Verletzte und 1,3 Millionen Euro Schaden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von acht Monaten, die Nebenklage von einem Jahr gefordert. Die Verteidigung hielt eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen. Eine heute 28-Jährige hatte schwerste Verletzungen erlitten, sie ist seither sprachlich und körperlich behindert.

 

Gleichzeitig erhob Amtsrichter Gerhard Gauch aber auch schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). Diese trügen ein „erhebliches Mitverschulden“ an dem Unfall, weil der SSB als Arbeitgeber die kritische Krankheit der SSB-Fahrerin bekannt gewesen sei, ohne hierauf reagiert zu haben. Bei den zwei Prozesstagen im Amtsgericht war festgestellt worden, dass die Mitarbeiterin seit 2021 unter einer Schlafapnoe leidet und eine Therapie absolviert. In der Nacht vor dem verheerenden Unfall hatte sie das vorgeschriebene Diagnosegerät nicht ausreichend benutzt und lediglich dreieinhalb Stunden geschlafen.

Die SSB habe ihre Fürsorgepflicht verletzt, so der Richter

Wie im Prozess bekannt wurde, hatte es in der Vergangenheit mehrfach Hinweise von Fahrerkollegen gegeben, die die Stadtbahnfahrerin im Gegenverkehr schlafend beobachtet hatten. „Die Verantwortlichen wussten davon, sie wussten auch davon, dass die ärztlichen Vorgaben gegen die Schlafapnoe nicht immer eingehalten wurden“. so Richter Gauch. Passiert sei aber, außer einer Vorstellung beim Betriebsarzt, relativ wenig. Stattdessen sei sie bis zum Schluss in der Frühschicht eingesetzt gewesen. „Die SSB hat nicht nur eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer, er hat auch eine Fürsorgepflicht für alle Menschen, die sich der SSB anvertrauen“, so Richter Gauch. Das Unternehmen sei kein Zweimannbetrieb, eine andere Verwendung sei möglich gewesen.

Gleichwohl trage die Angeklagte die hauptsächliche Verantwortung. Sie habe sich nachweislich nicht an die Vorgaben der Therapie gehalten und sich auch nicht an ein mahnendes Schreiben einer Lungenfachärztin gehalten, die eine längere Verwendung des Diagnosegeräts von mindestens vier Stunden gefordert hatte. „Sie waren objektiv nicht fahrtüchtig“, so Amtsrichter Gauch. Die 48-Jährige ist seit Juni 2025 nicht mehr bei den SSB beschäftigt – und ist wegen der Schlafapnoe noch immer in Behandlung.

Zwei Frauen wurden aus der Bahn nach draußen geschleudert

Am schlimmsten hatte der Unfall am 23. Februar 2024 eine 26-jährige Mitarbeiterin im Kundendienst eines IT-Unternehmens getroffen. Die Frau hatte im vorderen Bereich des Unfallzugs der Linie U 9 gesessen und war durch das Seitenfenster auf die Gleise geschleudert worden. Sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, lag wochenlang im Koma. Über Monate musste sie das Sprechen und das Gehen neu erlernen. Noch heute hat sie in der rechten Körperhälfte Lähmungen und ist berufsunfähig.

Eine 20-jährige Studentin war ebenfalls aus der Unglücksbahn geschleudert worden – kam aber vergleichsweise glimpflich davon. Gehirnerschütterung, Gesichtsverletzungen, abgebrochener Zahn, Prellungen. Sie hatte ebenfalls im vorderen Teil der Bahn gesessen. Die Studentin hat gegen die Fahrerin keinen Strafantrag gestellt – wie auch insgesamt 13 der 17 Verletzten. Zur Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Bahnverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung gehören noch 120 gemeinnützige Arbeitsstunden, die von der Angeklagten bis Sommer 2026 absolviert werden müssen.