Obwohl das Gericht weder Motiv noch die Todesursache kennt und auch sonst wenig Beweise hat, wird ein Mann wegen Totschlags verurteilt. Wie ist das juristisch möglich?
Die Todesursache ist nicht geklärt. Das Motiv auch nicht. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Und dennoch: Ein 47-Jähriger aus Stuttgart-Heslach ist am Donnerstag am Landgericht zu einer Haftstrafe von zehn Jahren wegen Totschlags verurteilt worden. Er soll seine Partnerin im vergangenen Sommer getötet und danach in einem Verschlag unter der Treppe, die zur gemeinsamen Wohnung führte, eingemauert haben. Das war im Hinterhaus eines Lokals in Heslach, das das Paar gemeinsam betrieben hatte. Erst Monate später wurde die Tote gefunden. Nachbarn, die auf der Suche nach ihrem Kind in den Straßen des Viertels unterwegs waren, fiel der starke Verwesungsgeruch auf.
Die Kammer muss alle denkbaren Alternativen ausschließen
Kann das Gericht trotz der vielen Unklarheiten ein Urteil fällen? Es kann, erläuterte die Vorsitzende Richterin Monika Lamberti. Möglich sei dies aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2012, das besage, dass Verurteilungen auch dann erfolgen können, wenn alle anderen plausiblen Alternativen geprüft und ausgeschlossen worden seien. Das habe das Gericht getan. Zudem habe sich der Angeklagte bei seiner Vernehmung „in Widersprüche verwickelt, die Seiten füllen würden“, so die Richterin. Auch habe er offenkundig von dem Versteck der Leiche gewusst: Er habe einen Handwerker geholt, der vor die Mauer eine Platte setzen und mit Silikon abdichten sollte – des Gestankes wegen. Als der Handwerker de Mauer öffnen wollte, um zunächst die Ursache zu suchen, habe er das heftig abgelehnt. Und den Geruch mit einer Sickergrube hinterm Haus erklärt, in die Abwasser laufe. Höchst merkwürdig, habe sich der Handwerker da gedacht: Stuttgart hat schließlich eine Kanalisation. Er sagte in dem Verfahren als Zeuge aus.
Die zahlreichen Widersprüche und seine Angaben, er habe die Frau noch gesehen, obwohl sie längst tot gewesen sein muss, brachte die Kammer zur Überzeugung, dass der Mann die Tat begangen hatte. Die Tote war im Oktober 2024 gefunden worden. Das Paar war bis zum Tod der Frau nur knapp ein Jahr zusammen gewesen. Im August 2023 hatten sie sich in einem Stuttgarter Café kennengelernt. Vor dem Tod der Frau sei es häufig zum Streit gekommen, auch Handgreiflichkeiten des Mannes beschrieben Zeugen. So kam die Kammer zur Überzeugung, dass der Mann den Femizid begangen hatte, obwohl er ihn stets bestritt. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert.
Als „unharmonisch“ hatte ein Gast der Kneipe, die das Paar betrieb, die Beziehung im Zeugenstand beschrieben. Er habe auch gesehen, wie das Paar sich „geprügelt“ habe. Andere sahen, wie der Mann die Frau an den Haaren zog. In den Streits des Paares sei es unter anderem um Geld und die von der Frau kritisierte Arbeitsmoral des Mannes gegangen. Der Pachtvertrag für die Kneipe lief auf sie. Das Lokal habe aber „wenig bis nichts“ abgeworfen. Die Frau nahm deswegen einen zweiten Job an, im Schichtbetrieb in einem Casino. Sie sei müde gewesen und genervt, weil ihr Partner zu wenig tue, habe sie sich ihr anvertraut, so die Aussage einer Freundin.
Das letzte Lebenszeichen: Ein Anruf um 6.20 Uhr am 7. Juli
ie Frau starb vermutlich am 7. Juli 2024. Denn bis dahin hatte das Paar seit dem Kennenlernen im August des Vorjahres 508 Telefongespräche geführt, ergab die Auswertung der Verbindungsnachweise. Das letzte an jenem Morgen um 6.20 Uhr. Wie lange sie danach noch am Leben war, weiß niemand. Und auch nicht, wie sie zu Tode kam: Zwar sei neben den sterblichen Überresten ein großes Küchenmesser gefunden worden. Ob die Frau womöglich damit erstochen wurde, ließ sich aber nicht nachweisen. Denn die Leiche war beim Auffinden schon stark skelettiert. Einstichwunden seien nicht mehr nachweisbar gewesen. Auch zwei glatt gebrochene Rippen seien kein Hinweis auf die mögliche Gewalteinwirkung gewesen, die zum Tode geführt haben könnte. Der Gerichtsmediziner habe ausgesagt, die anderen Rippen seien auch so abgebrochen.
Der Mann habe auf Nachfragen verschiedene Ausreden für das plötzliche Verschwinden seiner Partnerin präsentiert. Mal sagte er, sie sei nach Rumänien gefahren, von wo sie mit 18 Jahren nach Deutschland gekommen war. Dann behauptete er, sie sei „mit einem Griechen nach Griechenland“, oder nach Berlin, und mal, sie sei abgehauen, weil man sie mit Haftbefehl suche. Gegen all diese Theorien sprach, dass all ihre Kleidung und Gepäck zuhause waren, ebenso wie ihre Handtasche mit Handy. Nach dem Leichenfund und der Verhaftung des Partners habe der Vermieter begonnen, die Kneipe zu sanieren. Dabei sei auch noch die Handtasche der Toten in der Dunstabzugshaube gefunden worden, mit ihrem Personalausweis. Auch das sei unlogisch, so die Richterin. Der Angeklagte nahm all diese Ausführungen zumindest äußerlich ruhig zur Kenntnis.