Auch ein Experte erlebt Überraschungen: Dass die Bürger dieses Beet im Heusteigviertel mit Blumen bepflanzt haben, war Alexander Schmid neu Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In New York traten die Stadtgärtner das erste Mal auf. Vor 30 Jahren warfen sie Saatbomben, um die Stadt zum Blühen zu bringen. Damals war das ein Akt der Rebellion. Heute gilt das Gärtnern in der Stadt als schick und wird von der Stadt gefördert. Mit Geld – sowie Rat und Tat durch Landschaftsarchitekt Alexander Schmid.

Stuttgart – Herr Schmid, zähmen Sie die Gärtner-Guerilla?
Nein. Wir wollen nicht zähmen, sondern helfen. Ich kenne die Legenden über das Entstehen des Urban Gardening, aber das städtische Gärtnern hat eine sehr viel längere Geschichte. Das hat es in jeder Stadt und zu jeder Zeit gegeben. Schon immer haben die Menschen Nutzpflanzen angebaut. Der Name Bohnenviertel ist ein Beleg dafür. Und während und nach dem Krieg hat man überall Nutzpflanzen angebaut, wo es ging.
Da gärtnerte man, weil man es musste, um nicht zu verhungern. Heute ist Gärtnern ein Hobby. Verliert man nicht daran den Spaß, wenn sich die Stadt einmischt?
Ich denke nicht. Wir haben natürlich gewisse Anforderungen, wenn wir ein Projekt fördern. Aber wir haben uns Zeit gelassen, haben die Richtlinien mit den bereits bestehenden Initiativen wie dem Stadtacker an den Wagenhallen, dem Nachbarschaftsgarten am Stöckach oder der Ebene O auf dem Züblin-Parkhaus erarbeitet. Wir wollen einen Rahmen schaffen, aber Spielräume erhalten.
Wie groß sind denn die Spielräume? Es gab immer wieder Beschwerden von Bürgern, dass städtische Gärtner ihre Pflanzen kurzerhand gekappt hätten.
Dies hat zunächst einmal nichts mit urbanen Gärten zu tun. Trotzdem sehe ich es als meine Aufgabe an, für gegenseitiges Verständnis zu werben. Nicht jede Fläche eignet sich für jede Pflanze. Und man sollte es auf jeden Fall mit dem Garten-, Friedhofs- und Forstamt absprechen, wenn man eine städtische Fläche bepflanzen möchte. Aber natürlich ist es für eine Verwaltung auch ein Lernprozess, dass die Bürger sich ihre Stadt aneignen, sich selbst kümmern wollen.
Mitbestimmung durch Gärtnern?
Ja. Die Menschen machen sich Stadt im wahrsten Sinne des Wortes nutzbar, erobern öffentlichen Raum zurück. Das ist eine tolle Sache, gerade im Stuttgarter Kessel, wo der Raum so rar und teuer ist.
Und fürs Wohnen, Parken und Autofahren beansprucht wird. Gibt’s da überhaupt Platz fürs Gärtnern?
Es ist eine meiner Hauptaufgaben, die Flächen zu erfassen und neue zu suchen. Ich versuche Eigentümer mit Initiativen in Kontakt zu bringen. So hat zum Beispiel die Initiative Nordlichtung im Stuttgarter Norden eine neue Fläche gesucht, da konnten wir helfen.
Gibt es eigentlich Berührungsängste mit den Kleingärtnern?
Nein. Im Gegenteil. Die Kleingärtner betreiben schon ewig eine Art Urban Gardening. Sie beschäftigen sich seit 200 Jahren mit Gemeinschaftsgärten. Das ist ein riesiges Maß an Erfahrung, das wir gerne nutzen.
Aber ist das nicht der Inbegriff von Spießigkeit, von dem sich der rebellische Urban Gardener gerne absetzen möchte?
Das sind aber jetzt ganz schon viele Klischees auf einmal. Gut, dass Sie nicht noch mit dem Gartenzwerg kommen. Ich kann jetzt nicht für alle Initiativen sprechen, aber ich habe den Eindruck, viele nutzen die Erfahrung der Kleingärtner gerne. Wie gesagt, die Kleingärtner haben 200 Jahre Vorsprung und können etwa bei versicherungsrechtlichen Fragen helfen: Wer haftet, wenn Dritte zu Schaden kommen? Oder bei der zunächst banal wirkenden, aber entscheidenden Frage: Wo bekommen wir unser Wasser her? Und wir haben Workshops mit den Kleingärtnern, unsere Gartenwerkstatt.
Wenn Stadt und Kleingärtner jetzt das Urban Gardening entdeckt haben, ist das ein Zeichen dafür, dass der Hype schon vorbei ist?
Sie unterschätzen die Stadtverwaltung. Wir sind fixer, als Sie denken. Seit das Wetter besser geworden ist, steht bei mir das Telefon nicht mehr still: Bürger rufen an und fragen, wo sie mitgärtnern können. Man hat den Eindruck, je unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr Menschen möchten ihr eigenes Fleckchen Stadt mitgestalten. Mit Gärtnern erreicht man ganz viele Menschen, das hat unheimlich viel Potenzial, das sich erst entwickelt.
In welcher Form?
Am Sanierungsgebiet Bismarckplatz will die Schwabschule einen temporären Garten bewirtschaften. Wir haben überall in der Stadt Initiativen, die zum Beispiel im Außenbereich an Flüchtlingsheimen Gärten anlegen möchten. Das ist unheimlich spannend: Die Flüchtlinge bringen ja die Erfahrung ihrer Kulturen mit, gut möglich, dass wir da was lernen können. Und das Thema Senioren steckt erst in den Anfängen.
Was schwebt Ihnen da vor?
Unheimlich viel Wissen kommt von der älteren Generation und kann beim gemeinsamen Gärtnern weitergegeben werden. Sonst ist es unwiederbringlich verloren. Dieses Thema hat so viele Facetten, da lernt man nie aus. Haben Sie schon mal was von Aquaponic gehört?
Nein. Was soll das sein?
Im Prinzip ein Aquarium, auf dem ein Gewächshaus steht. Mit den Ausscheidungen der Fische werden dann die Pflanzen gewässert und zugleich gedüngt. Die Fische und das Gemüse sind zum Verzehr gedacht. In Stuttgart wird gerade so eine Aquaponic-Anlage gebaut, sie soll beim Stadtteilbauernhof in Bad Cannstatt realisiert werden. Und was ich schon immer sehr spannend fand, ist die Essbare Stadt Andernach.
Was ist das?
Dort lässt die Stadtverwaltung seit Jahren auf öffentlichen Grünflächen Nutzpflanzen und Gemüse anbauen. Und jeder Bürger darf sich bedienen. Sie haben zum Beispiel an einem Jahr an der ganzen Stadtmauer Tomaten angebaut.
Gärtnern Sie auch?
In meiner Heimat Aalen helfe ich meinen Großeltern in ihrem Bauerngarten samt Hühnern und Bienen. Und im Stuttgarter Westen versuche ich meinen Balkon auf der Ostseite davon zu überzeugen, dass ich einen grünen Daumen habe.