Gleich wird er die Showtreppe hinunterstolpern: Jesus (Julia Riedler) trägt schwer Foto: Thomas Aurin

Elfriede Jelineks Terror-Suada „Wut“ ist ein bedrückender Text. Bei der Uraufführung in den Münchner Kammerspielen will ihm Nicolas Stemann mit Comedy beikommen.

München - Treffen sich ein paar Götter zum Tratsch. Ganesha wackelt kichernd mit den Ärmchen, Zeus fuchtelt mit dem Blitz, das fliegende Spaghetti-Monster schüttelt sein Nudelhaar, der mopsige Buddha zeigt, was er am besten kann: gedankenverloren ins Nichts starren. Jesus wiederum trägt schwer an seinem Kreuz, bis er die Showtreppe hinunterstolpert und bei den anderen auf dem Sofa landet. Einer fehlt allerdings. „Wo ist Mo?“, fragt sich einer. Kein Mohammed weit und breit. Womöglich hilft ein digitaler Gruß an den Propheten. Man schmiegt sich aneinander zum Gruppen-Selfie wie die Hollywoodstars bei der Oscarverleihung. Doch dann taucht jemand auf, im goldenen Minirock und mit Militärkappe. Alle eilen verstört davon, bis sich Nicolas Stemann zu Wort meldet. Die Military-Transe und der Regisseur beschwichtigen. Nein, nein, iwo. Das ist nicht Mohammed!

Derlei Schabernack zu den viel diskutierten Aspekten Bilderverbot und Blasphemie gelingt am Samstag in den Münchner Kammerspielen bei der Uraufführung von Elfriede Jelineks „Wut“. In der Distanzierung zu einem Thema ist Nicolas Stemann geübt. Auch in übertrieben pädagogischem Zeigefingerwinken, wenn er sich einen Spaß aus der Causa Böhmermann macht. In der Pause, die dennoch durchgespielt wird, sitzt man bei einer Presseschau beieinander und macht sich über Zeitschriftentitel von „Brigitte“ über „Bild“ bis zum „Spiegel“ lustig: Böhmermann könne sich durchaus beleidigt fühlen, weil sein Foto auf der Titelseite des „Spiegel“ nicht das vorteilhafteste sei. Wenngleich Böhmermanns Erdogan-Schmähgedicht nicht Teil des Textes von Elfriede Jelinek ist, hat der Fall auf eine, ungleich harmlosere, Weise mit dem Thema des neuen Stückes der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin zu tun.

„Wut“ entstand nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“

„Wut“ ist nach den tödlichen Anschlägen muslimischer Extremisten auf die Mitglieder des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ entstanden, allerdings vor den Anschlägen in Paris und Brüssel. Dies erklärt Nicolas Stemann dem Publikum (das dies nicht schon im Programmheft gelesen hat) vor Beginn der Aufführung. Der Jelinekerfahrene Regisseur erklärt auch, dass „Wut“ ziemlich lang ist und die Autorin inzwischen gänzlich ohne Regieanweisungen oder Figuren auskommt. Gekürzt habe er schon, dennoch werde die Veranstaltung wohl an die vier Stunden dauern, das sei dem Thema „angemessen“. Er praktiziere ohnehin work in progress und arbeite an der Inszenierung nach der Premiere weiter. Wem’s jetzt nicht gefalle, der könne später mal wiederkommen, der Abend werde vielleicht besser. Also: „Eine Win-win-Situation“.

Geht so. Verzichtbar wäre etwa dieser Pennälerspaß: Dreck, der auf Leinwand-Gesichter geworfen wird, wenn es um Geiferei im Internet, Stichwort: Shitstorm, geht und um verkopfte „Kunstkacke“. Terroristen mit Clownsperücken sind auch ein eher abgegriffenes Bild für die Verweigerung, Attentäter durch Ausstellen von Gefährlichkeit interessant zu machen. Derlei Mätzchen - Rennen, Schreien, Trommeln, ab und zu eine Ballade singen, ein paar Papier-Kalaschnikows vom Himmel fallen lassen -, sind kaum mehr als Verlegenheits-Girlanden. Zu Jelineks Suada und Lamento fällt Stemann wenig ein. 140 dicht beschriebene DinA4 Seiten, in denen sie vieles andeutet. Sie umkreist die Morde in dem jüdischen Supermarkt in Paris, erinnert an die ermordeten Zeichner des Satiremagazins, sie schreibt über Karikaturen-Verbote. Außerdem private Liebestragödien, Rechtsruck in Deutschland, AfD-Anspielungen, Griechenlandkrise, Völkermord in Afrika, antike Zitate über wutrasende Helden wie Herakles. Jelinek psychologisiert nicht, erklärt nicht. Ihre Wut ist allgemein, von einem Gefühl der Ermattung getragen.

Gut und Böse sind miteinander verwandt

Das sprachliche Toben wie in antiken Geschichten taugt ihr nicht: „eine Wahrheitskraft hatte das, der die Sprache nicht gewachsen bleibt, sie wächst uns aus dem Mund, sie bleibt nicht wo sie ist, die Sprache, sie gerät nachdem sie gespuckt, geflucht und getobt hat, die jetzt ermüdete Sprache, sie gerät in den Schein des bloßen Redens über Dinge, die es gar nicht gibt, denn sie ist eben müde geworden, nicht wahr und es fällt ihr nicht mehr viel ein.“

Immer wieder aber verweist Elfriede Jelinek virtuos durch Abklopfen von Wortbedeutungen darauf, wie sehr Gut und Böse miteinander verwandt sein können.

Ihrem Schmerz, dieser Müdigkeit, kommt Nicolas Stemann nicht bei. Er kaspert darüber hinweg. Jelineks beklagt das fatale „Wir töten sie, sie töten uns“, das universelle „Alle gegen Alle“. Ihrem Weltekel gegenüber bleibt er seltsam leer und kalt, da fällt ihm nichts ein. Er begnügt sich mit szenischen Lesungen. Mit Ausnahme der furiosen Annette Paulmann wirkt das bei den anderen sechs Darstellern brav aufgesagt.

Dankbar greift er die Passagen auf, in denen Jelinek selbstironisch wird; Schauspielerin Julia Riedler stellt in einem Dramolett die Dramatikerin, den Regisseur und eine Schauspielerin dar. Und wenn Stemann doch den Historiker gibt oder - anders als Jelinek - psychologische Erklärungsversuche unternimmt, wird’s richtig banal: 1961 während des Algerienkriegs haben Polizisten in Paris eine friedliche Demonstration Algerier brutal niedergeschlagen - ob Nachkommen dieser Ermordeten unter den Terroristen vom Januar 2015 seien, sei nicht geklärt. So einfach sind Wirkzusammenhänge nicht herstellbar.

Vier Stunden lang wird der Textkörper mal hier, mal da betastet, daran herumgedrückt, angelächelt, mal gekitzelt, mal angestaunt. Durch Ironisierung lässt er sich nicht künstlich beatmen, beherzte Eingriffe wären hilfreich gewesen. Annette Paulmann, das zeigt sich in ihren Soloszenen, hätte das schauspielerische, sprachliche Vermögen gehabt, auch allein den Abend zu stemmen und die Sprachmacht Jelineks nuanciert und dramatisch genug auszudifferenzieren. Man muss schon etwas anstellen mit so einem Sprachungetüm, sonst bleibt es, was es an diesem Abend war: a schöne Leich’.

Weitere Termine: 19. und 24. April, 8. und 26. Mai.