Frauke Jessen-Narr gibt alten Büchern eine zweite Chance. Foto: Gottfried Stoppel

Die Buchmesse in Frankfurt präsentiert dieser Tage viele tausend neue Publikationen. Frauke Jessen-Narr aus Stetten kümmert sich um die alten Bücher, die keiner mehr lesen will.

Kernen - Nein, Mamas alte Kinder- und Jugendbücher wollten die drei Töchter von Frauke Jessen-Narr partout nicht lesen. Was also tun mit den „Hanni und Nanni“-Bänden, mit „Försters Pucki“, mit den „Fünf Freunden“ und den „Drei Fragezeichen“, deren Titelbilder allein schon so viele Erinnerungen wecken? Ihre alten Gefährten dem Reißwolf in den Rachen zu werfen, das kam für Frauke Jessen-Narr nicht in Frage. Deshalb hat die 49-jährige Stettenerin angefangen, alten Büchern zu einer zweiten Karriere zu verhelfen: aus den Buchdeckeln fertigt sie Notizbücher und Schutzhüllen für E-Book-Reader oder für Tablet-Computer.

Das Innenleben, also die bedruckten Seiten der Bücher, faltet Frauke Jessen-Narr zu Tütchen für Geldgeschenke, zu Lesezeichen und Kartenhaltern. Weil sie nicht nur Bücher, sondern auch schöne Wörter sammelt und mag – so etwa „schlimperdibix“, einen Hotzenplotz-Klassiker – stanzt sie Fundstücke aus den Buchseiten und macht witzige Buttons zum Anstecken daraus. Das alles verkauft sie auf Kunsthandwerker-Märkten und über ihre Internetseite. Wobei Frauke Jessen-Narr die Marktatmosphäre besonders mag: „Die Leute stehen vor meinem Stand, schauen sich die Cover an und lachen. Es sind einfach viele Erinnerungen damit verknüpft.“

Buchverwandlung mit Liebe und Geschick

Ihre Kundschaft, das sind Menschen zwischen Mitte 30 und Mitte 60, die diese Bücher entweder selbst besessen oder bei den Eltern oder Großeltern im Regal entdeckt haben. Anfangs hat Frauke Jessen-Narr durchaus mal zu hören bekommen, dass man Bücher doch nicht auseinandernehmen dürfe. Doch da sie es mit viel Liebe, Sorgfalt und Geschick tut, liefert inzwischen manch einer komplette Büchernachlässe bei ihr ab und erbittet als Gegenleistung nur eines ihrer Notizbücher.

Die wunderbare Wandlung vom Staubfänger zum hippen Notizbuch oder zur Tablet-Hülle vollzieht sich im kleinen Atelier, das die 49-Jährige im ehemaligen Kinderzimmer ihrer ältesten Tochter eingerichtet hat. Auf einem Schränkchen in der Zimmerecke steht eine Papierschneidemaschine, auf dem Schreibtisch ein Behälter mit Scheren und Cuttern, Klebstoff, Pinseln und Buchbinderleim. In einem Wandregal bewahrt Frauke Jessen-Narr einen Teil der Bücher auf, die noch auf ihr zweites Leben warten – von „Tina und Tini“ bis zu Karl Mays „Durchs wilde Kurdistan“.

Stabile Fadenheftung

Ob Notizbuch oder E-Book-Reader-Hülle – in einem ersten Arbeitsschritt trennt Frauke Jessen-Narr die bedruckten Seiten aus dem Einband – schön vorsichtig, um den Buchrücken aus Leinen nicht zu beschädigen. „Anfangs habe ich alles selbst gemacht, auch die Notizblöcke“, erzählt die gebürtige Gütersloherin, die während ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin auch das Buchbinden gelernt hat. Inzwischen lässt sie die Papierblöcke, die sie statt der bedruckten Seiten in die Bücher einsetzt, in einer Buchbinderei anfertigen. Die weißen Papierbögen werden dort mittels Fadenheftung vernäht, so dass die Notizblöcke besonders haltbar sind.

Frauke Jessen-Narr passt die Blöcke dann zwischen die Buchdeckel ein. Verwandelt sie ein Buch in eine E-Book-Hülle, dann versieht sie den Karton mit Klettpunkten, um das Lesegerät fixieren zu können. „Für iPads suche ich noch passende Buchformate“, sagt sie, die von Kunden immer öfter den Auftrag erhält, ein ganz bestimmtes Buchcover speziell für sie umzugestalten. Eine Amerikanerin schickte die englischsprachige Ausgabe von Alexandre Dumas „Der Graf von Monte Christo“, damit Frauke Jessen-Narr sie zum Notizbuch ummodeln konnte. Wann ihr diese Arbeit besonders leicht fällt? „Ich gebe jedem Buch erstmal eine Chance, aber bei Schnulzenromanen habe ich wenig Hemmungen.“