Wer das Unwort des Jahres mit geprägt hat, hat wenig Grund, stolz zu sein. Foto: dpa

An diesem Dienstag wird das Unwort des Jahres 2017 bekannt gegeben. Ein Blick auf offizielle und inoffizielle Kandidaten.

Stuttgart - Ü ber manche Begriffe auf der Vorschlagsliste zum Unwort des Jahres 2017 kann man den Kopf schütteln, bei anderen sind Wut oder Übelkeit passendere Reaktionen. Zum Beispiel beim „Babycaust“, der mit 122 Nennungen von den meisten Einsendern vorgeschlagen wurde. Hintergrund ist die gleichnamige, von übereifrigen Abtreibungsgegnern betriebene Internetseite, auf der die Gießener Ärztin Kristina Hänel diffamiert wird. Sie war wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden.

Hänel selbst hatte den Begriff vorgeschlagen – und viele Unterstützer gewonnen. Ihre nachvollziehbare Begründung: Sie werde auf der genannten Website diffamiert, verleumdet und angeprangert. Der Begriff „Babycaust“ sei wegen seiner Ähnlichkeit zum Begriff Holocaust, der für den Massenmord der Nazis an den Juden steht, „verschleiernd und irreführend“.

Der zweithäufigste Vorschlag, der 65 Nennungen erhielt, lautet „alternative Fakten“. Das trägt der Entwicklung Rechnung, dass allgemein akzeptierte Tatsachen nicht nur in der US-Politik eine immer geringere Bedeutung haben. Es ist ja auch bequemer, sich die schnöde Wirklichkeit nach Bedarf zurechtzubiegen – so wie es Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway mit Blick auf die Zuschauerzahlen bei der Amtseinführung des US-Präsidenten getan hat. Ein idealer Nährboden für alternative Fakten sind die Echokammern des Internets.

„Fake News“ und „atmender Deckel“

Alle anderen Unwörter, die zur Wahl stehen, wurden nach Angaben der Jury weniger als 20-mal vorgeschlagen. Offiziell im Rennen sind neben den bereits genannten Kandidaten unter anderem „Fake-News“ für vorgetäuschte oder falsche Nachrichten sowie „atmender Deckel“ als Schönsprech-Variante der Flüchtlingsobergrenze. Weitere Vorschläge sind „Bio-Deutsche“ zur Abgrenzung der einheimischen Bevölkerung von Flüchtlingen sowie „Sprachpolizei“ als abfällige Bezeichnung für sprachkritische Aktionen wie die Kür des Unworts. Neben dem Unwort des Jahres werden auch das Wort und das Jugendwort des Jahres gewählt (siehe Infobox).

Auf der inoffiziellen Vorschlagsliste der Redaktion findet sich unter anderem die „Umweltprämie“, mit der die Autohersteller den Austausch älterer Diesel beschleunigen wollen. Allerdings fällt der Bonus bei einem spritfressenden Geländewagen deutlich höher aus als bei einem sparsamen Kompaktwagen. Der Wortbestandteil „Umwelt-“ erfüllt somit den Tatbestand der Irreführung. Und von einer Prämie kann angesichts der ohnehin üblichen Rabatte in vielen Fällen ebenfalls kaum die Rede sein.

Einen Ehrenplatz auf unserer vollkommen subjektiven Vorschlagsliste haben wir für die „Mietanpassung“ reserviert. Der beliebte Textbaustein im Schriftverkehr zwischen Vermieter und Mieter wurde zwar nicht 2017 erfunden, ist aber angesichts der sich immer weiter aufblähenden Immobilienblase von zeitloser Aktualität.

„Software-Update“ als Reaktion auf die „Diesel-Thematik“

Die „Diesel-Thematik“ hat VW auch 2017 beschäftigt – und steht deshalb ebenfalls auf unserer Liste. Thematik klingt irgendwie gar nicht so schlimm – auch wenn es sich in Wirklichkeit um einen veritablen Skandal handelt. Aber wenn es um das geht, was beim Auto hinten rauskommt, setzt die Autoindustrie seit je auf alternative Fakten. Auch Thermofenster – nämlich der begrenzte Bereich, in dem die Abgasreinigung arbeitet – klingt viel netter als Abgasmanipulation. Zum Glück hat die Industrie eine wohlklingende und vor allem superbillige Lösung gefunden: Ein „Software-Update“, das es ebenfalls zu Recht auf die offizielle Vorschlagsliste geschafft hat. Auf Updates setzen neben den Autobauern auch Computerhersteller, die massenhaft Chips mit Sicherheitsmängeln verbaut haben.

Insgesamt sind 1316 Unwort-Vorschläge eingegangen – 252 mehr als im Vorjahr. 684 verschiedene Begriffe wurden genannt. „Aber nur 80 bis 90 entsprechen unseren Kriterien“, so die Juryvorsitzende Nina Janisch. Ausgeschlossen waren etwa Namen wie Merkel und Trump, hässliche Wörter oder Missverständnisse. Auch Begriffe, die vor allem den Ärger des Einsenders über eine bestimmte Politik ausdrücken, blieben außen vor – etwa die „Sondierungsgespräche“. Dabei werden diese wochenlangen Verhandlungen wahrlich nicht nur von einer Minderheit als sonderbare Form der Regierungsbildung gesehen.

Das Bewusstsein für Sprache soll gefördert werden

Ziel der sprachkritischen Unwort-Aktion ist es, auf öffentliche Formen des Sprachgebrauchs aufmerksam zu machen und dadurch das Bewusstsein und die Sensibilität für Sprache in der Bevölkerung zu fördern. Die Jury wählt Formulierungen aus der öffentlichen Kommunikation, die gegen sachliche Angemessenheit oder Humanität verstoßen. Die Wörter sollen zudem eine gewisse Aktualität haben.

Auf unserer redaktionsinternen Liste steht übrigens schon jetzt ein heißer Unwort-Kandidat für das Jahr 2018: Die „Drecksloch-Länder“, aus denen US-Präsident Donald Trump keine Einwanderer mehr in seinem Land haben will. Das Wort ist weder angemessen noch human – aber kein bisschen irreführend. Denn Trump hat sich damit vollkommen wahrheitsgemäß als überzeugter Rassist geoutet.

Wort, Unwort und Jugenwort – das steckt dahinter

Wort des Jahres Die Auszeichnung wurde erstmals 1971 von der Gesellschaft für Deutsche Sprache vergeben. Dabei geht es um Wörter und Ausdrücke, die die öffentliche Diskussion geprägt haben oder für wichtige Themen stehen. Das Wort des Jahres 2017 lautet „Jamaika-Aus“ und steht für die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen.

Unwort des Jahres Eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten wählt einen Begriff aus, der gegen das Prinzip der Menschenwürde oder gegen Prinzipien der Demokratie verstößt – etwa weil er bestimmte Gruppen diskriminiert, etwas verschleiert oder irreführend ist. 2016 fiel die Wahl auf das in rechten Kreisen beliebte Politiker-Schimpfwort „Volksverräter“.

Jugendwort des Jahres Es wird seit 2008 jährlich von einer Jury unter der Leitung des Langenscheidt-Verlags ausgewählt. Die Wahl soll die sich wandelnde Jugendsprache dokumentieren – was von manchen Sprachwissenschaftlern bezweifelt wird. Das Jugendwort des Jahres 2017 lautet „I bims“ – eine Verballhornung des Ausdrucks „Ich bin’s“.

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https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.pro-und-kontra-wie-sinnvoll-ist-das-jugendwort-des-jahres.d5030f12-676d-47e6-bb37-3ac4c9d45e8f.html