Der Hagelsturm vor einem Monat hat eine Schneise der Zerstörung im Kreis Reutlingen hinterlassen. Landwirte und Hausbesitzer blicken in eine unsichere Zukunft. Foto: Fotoagentur Stuttgart

Der verheerende Hagelsturm vor einem Monat hat eine gewaltige Schneise der Zerstörung im Kreis Reutlingen hinterlassen. Landwirte und Hausbesitzer blicken in eine unsichere Zukunft.

Reutlingen - Seit mehr als 20 Jahren pflanzt Bernhard Baum auf rund 15.000 Quadratmetern Primeln, Geranien, Stiefmütterchen und andere Blumen. Der Reutlinger Gärtnereibesitzer verkauft sie an Gartencenter und Einzelhändler. „Hundert Prozent der Ware in den Gewächshäusern und in Freilandkulturen ist kaputt“, sagt der 55-Jährige heute. Der verheerende Hagelsturm vor vier Wochen hat ihm einen Millionenschaden hinterlassen. Und große Löcher in den Dächern der Gewächshäuser. Die klaffen dort nach wie vor, weil es bei der Lieferung der neuen Plexiglas-Platten Engpässe gibt.

Einen Monat nach dem Unwetter im Südwesten fehlt es vielerorts an Handwerkern, Material und Geld für Reparaturen. Feuerwehrleute stehen vor der Belastungsgrenze, Handwerker vor vollen Auftragsbüchern und Landwirte nach verlorener Ernte vor dem Ruin. Insbesondere Reutlingen hat es hart getroffen. Der schwere Hagelschauer veränderte in nur zehn Minuten das Bild der Kreisstadt. An eine größere Verwüstung durch golfballgroße Hagelkörner kann sich hier niemand erinnern.

Bei mehreren Zehntausend Häusern im Kreis Reutlingen und Tübingen seien die Dächer beschädigt worden, sagt Udo Steinort von der Handwerkskammer Reutlingen. Er rechne damit, dass alle Schäden an Häusern und Grundstücken erst zum Herbst 2014 beseitigt sind.

Viele Dächer seien immer noch provisorisch geschützt und müssten so den Winter überstehen, sagt Steinort. „Die Handwerker im Landkreis sind so stark ausgelastet, dass Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden am Tag keine Ausnahme mehr sind.“ Das sei auf Dauer nicht durchzuhalten. Deshalb rät die Kammer Betroffenen, auf Handwerkerbetriebe aus den Nachbarkreisen auszuweichen.

In den Wochen nach dem Unwetter hat auch die Reutlinger Feuerwehr mit Überlastung zu kämpfen. Nach jedem starken Regen und jedem Windstoß müssen wieder provisorische Abdeckungen an Fenstern und auf Dächern erneuert werden. Bis zu 40 Einsätze am Tag seien eine direkte Folge des Hagelsturms, sagt ein Feuerwehrsprecher. „Die Notabdeckungen der Dächer sind zum Teil dürftig und werden den Winter so nicht überstehen.“ Weitere Schäden seien zu erwarten.

Ältere Dächer müssen häufig komplett neu gedeckt werden

Ältere Dächer müssen häufig komplett neu gedeckt werden. Das braucht Ziegel und Arbeitskräfte - beides ist zurzeit Mangelware. Bei der großen Nachfrage an Reparaturen warnt die Handwerkskammer davor, sich auf sogenannte Dach-Haie einzulassen. Diese würden keinen Kostenvoranschlag anbieten und überzogene Rechnungen stellen. „Vertrauenswürdige Handwerker klingeln nicht an der Tür.“

Wegen der Hagelzelle haben etwa 150 Landwirtschaftsbetriebe einen Teil oder sogar die komplette Ernte verloren. Rund 40 Prozent hätten keine Hagelversicherung abgeschlossen, sagt Thomas Pfeifle vom Kreisbauernverband. Die Betroffenen bleiben auf den Kosten sitzen. Schäden an Gebäuden und Photovoltaikanlagen kämen noch oben drauf. Im Jahr betrage die Versicherung für landwirtschaftliche Flächen gegen Unwetterschäden zwischen 1000 und 2000 Euro pro Hektar.

Im Kreis werden rund 4000 Hektar für den landwirtschaftlichen Anbau verwendet. Angesichts der ausgefallenen Ernte - vor allem bei Futtermitteln - seien die Bauern auf Ersatz angewiesen. Da die Fläche knapp und das Futter zerstört seien, werde es in der Region zu Engpässen kommen, sagt Pfeifle. Daher erwartet der Verband, dass die Preise etwa für Silo-Mais in den nächsten Monaten ansteigen.

Ein kleiner Trost für Gärtner Baum: Erst im vergangenen Jahr hatte er einen Teil der Platten auf seinen Gewächshäusern ersetzt. Die seien zwar jetzt auch zerstört - je älter die Platten aber sind, desto weniger zahle die Versicherung, um sie zu ersetzen. Ein Komplettausfall der Ware heiße allerdings auch, dass sich die Kunden umorientieren, macht Baum deutlich. Für den Gärtnereibesitzer - wie für viele andere - drohen Langzeitschäden.