Viele Unverpackt-Geschäfte schließen, es gibt aber auch Neueröffnungen. Zum Beispiel hier in Stuttgart-Plieningen in diesem Jahr. Foto: Torsten Schöll

Unverpackt-Läden stehen für nachhaltiges Einkaufen. 2019 rannten die Kunden ihnen die Geschäfte ein, heute schließt ein Laden nach dem anderen. Haben sie etwas falsch gemacht? Und haben sie noch eine Chance?

Aus Fridi wird hoffentlich Fredi. Der Unverpackt-Laden in Tübingen will aber nicht nur seinen Namen ändern, sondern auch sein Konzept. Weil es nicht mehr anders geht. „Man kann es sonst nicht mehr tragen“, sagt Izabela Szafranska, sie leitet den Laden, den es seit 2020 gibt. Das finanzielle Risiko sei zu hoch, deshalb wollen sie jetzt ihr Geschäftsmodell anpassen, um es vielleicht doch noch in die Zukunft zu retten. Und die ist momentan recht düster.

Vor zwei, drei Jahren schossen die Unverpackt-Läden aus dem Boden. Nachdem der offiziell Erste im Jahr 2014 in Kiel eröffnet hatte, folgten weitere. Das Konzept passte zum Zeitgeist, Plastikvermeidung war en vogue, und die Läden, in denen man Reis und Müsli in mitgebrachte Gefäße rieseln lassen kann, kamen mit dem Nachfüllen kaum hinterher. Jetzt, im Jahr 2022, hagelt es wieder Nachrichten aus der Branche, allerdings geht es diesmal oft um das Ende von Träumen. Zuletzt traf es beispielsweise Tante M. in Stuttgart-Sillenbuch. Am 25. November war Schluss.

Die Vision begann mit dem ersten Lockdown zu bröckeln

Egal wen man fragt, es herrscht Einigkeit: Hauptschuld an der Misere hat Corona. Die Vision vom verpackungsfreien Einkauf begann bei vielen mit dem ersten Lockdown zu bröckeln. Die aktuelle Inflation gibt der Unverpackt-Branche in vielen Fällen den Rest. Haben die Läden, die vor nicht allzu langer Zeit einen Nerv getroffen haben, überhaupt noch eine Chance?

Eike Wenzel, Trendforscher am Zukunftsinstitut in Heidelberg, sieht mindestens für die nächsten zwei Jahre keine solide wirtschaftliche Grundlage. „Sie leiden daran, dass sie auf hohen Kosten sitzen“, sagt er. Die Mieten seien gestiegen, die Umsätze gesunken. „Ich bin sehr pessimistisch, leider.“ Nach Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine habe es zunächst „eine Schockzurückhaltung“ gegeben, und auch jetzt halten die Leute ihr Geld lieber zusammen, „sie sind vorsichtiger geworden“. Auch Bio-Läden hätten seit Anfang 2022 Schwierigkeiten. Wer zurzeit profitiert, seien die Discounter. Unverpackt-Läden seien in die Krise geraten, als sie noch recht unbekannt gewesen seien, sagt der Trendforscher. In Frankreich, wo es das Unverpackt-Konzept schon länger gebe, laufe es nach wie vor gut.

Was bedeutet das fürs nachhaltige Einkaufen?

Unverpackt-Läden sind das oft und viel zitierte Beispiel für den nachhaltigen Einkauf. Sollten sie nun wieder von der Bildfläche verschwinden, was bedeutet das dann fürs nachhaltige Einkaufen?

Katarina Schickling aus München ist Autorin, Journalistin und Nachhaltigkeitsexpertin, sie war früher unter anderem die stellvertretende Chefredakteurin für Focus TV. Ihr Buch „Mein Lebensmittelkompass“ soll 2023 erscheinen. Darin beschreibt sie, wie man nachhaltiger einkaufen kann. Unverpackt-Läden hält sie für „ein sinnvolles, kluges Konzept, es ist ein Stachel im Fleisch“. Allerdings gebe es die Läden eben nicht überall. Ein Grund, weshalb sie selbst selten bis gar nicht in Unverpackt-Läden einkaufe. Sie bekomme ihre Sachen in nachhaltigerer Reichweite. „Beim Einkaufen ist neben der Verpackung der Weg zum Laden ein wichtiger Öko-Faktor“, erklärt Katarina Schickling.

Sie würde sich wünschen, dass die Politik das nachhaltige Einkaufen mehr unterstützt und fördert. Indem derjenige belohnt wird, der Verpackung und Ressourcen spart. Das würde unter Umständen den Umstieg für viele erleichtern. Getreide und Reis in mitgebrachte Gefäße zu füllen, „das ist eine Umstellung, hier sollte der Gesetzgeber Anreize setzen“, sagt Katarina Schickling.

Die Leute von Fridi Unverpackt in Tübingen, die sich im besten Fall bald Fredi nennen, können darauf nicht warten, sie brauchen eine rasche Lösung. Und wenn genug mitmachen, haben sie sie vielleicht gefunden. Das Konzept sieht vor, dass die Kunden Mitglieder werden, sie bezahlen monatlich einen festen Betrag und können mit Gutscheinen einkaufen. Schaffen sie es in einem Monat nicht in den Laden, ist das Geld sozusagen gespendet. Für Isabela Szafranska und die anderen ist es eine Garantie, dass die laufenden Kosten gestemmt werden können. Ob genügend Menschen bereit sind, dem Laden diese Sicherheit zu geben, wird sich bis Mitte Dezember zeigen. „Dann entscheiden wir, ob es weitergeht oder nicht.“ Das Konzept ist bei der Solidarischen Landwirtschaft, kurz Solawi, abgeguckt. Und da die Zahl der Solawis in Deutschland seit zehn Jahren rapide steigt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass aus Fridi bald Fredi wird.

Geschäftsmodell in der Nische

Kunden
Laut der Marktforschung von Splendid Research gefällt 71 Prozent die Idee vom Unverpackt-Laden, allerdings haben nur acht Prozent davon dort schon einmal eingekauft. Zudem: 73 Prozent sind dafür, Verpackungen zu vermeiden, doch nur jeder Zweite wäre bereit, dafür auch mehr zu bezahlen. Zahlen von Ifeu von Anfang 2020 – also vor der Pandemie – legen nahe, dass der Großteil der Kunden nur einmal im Monat oder weniger in Unverpackt-Läden einkauft.

Läden
Beim Verband Unverpackt mit Sitz in Köln sind derzeit 313 Mitgliedsläden organisiert; seit Anfang 2022 haben nach Auskunft von Insa Dehne aus dem Vorstand 48 Läden geschlossen, 31 haben derweil neu geöffnet. Der offiziell erste Unverpackt-Laden wurde 2014 in Kiel eröffnet. ana