Besuch der Grabkapelle auf dem Württemberg mit Krinolinekleidern Foto: Galou & Tajett (z)

Die Interessengemeinschaft „Galou & Tajett“ lässt die Mode vergangener Epochen aufleben. Wenn die Damen in Krinoline- und Tournürekleidern flanieren, sind ihnen bewundernde Blicke sicher.

Untertürkheim - S i e sehen toll aus!“ Der junge Mann zückt begeistert sein Handy. Ob er ein Foto machen darf? „Aber gern doch“, sagt Gabriele Kiesler lächelnd. Wo immer die Untertürkheimerin und ihre Freundinnen auftauchen, sind ihnen bewundernde Blicke sicher. Mit ihren ausladenden, bodenlangen Kleidern wirken sie wie Besucher aus einer anderen Zeit. Und für ein paar Stunden sind sie das auch – wenn sie in historischen Gewändern flanieren. So wie an diesem Nachmittag vor dem Cannstatter Kursaal. Das historische Gebäude bietet ihnen die passende Kulisse: Die Zeit der Krinolinenmode währte von etwa 1840 bis 1870.

Interesse an historischen Bekleidungsstilen

Das gemeinsame Interesse an der württembergischen Geschichte, vor allem an der Entwicklung der historischen Bekleidungsstile, hat sie vor drei Jahren zusammengeführt. Gabriele – sie nennen sich alle nur beim Vornamen – ist eine von vier Gründerinnen des historischen Quartetts „Galou & Tajett“. Sie steht für das „Ga“ im Namen, Louise ist das „lou“, Tanja das „Ta“ und Jeanette das „jett“. Der Interessengemeinschaft gehören mittlerweile 18 Frauen aus Stuttgart und Umgebung im Alter zwischen zwölf und 72 Jahren an – aber auch zwei Herren. Denn der gutbürgerliche Mann ist gepflegt und ebenfalls modisch gekleidet, er trägt dunkle Anzüge, Westen und Zylinder. Regelmäßig treffen sich die Gleichgesinnten an markanten Orten jener Zeit, um die Mode vergangener Epochen aufleben zu lassen – zum Beispiel an der Grabkapelle auf dem Württemberg, vor Schloss Solitude oder Schloss Hohenheim.

Accessoires sind unerlässlich

Dass es stilecht bei ihren Ausflügen zugeht, darauf achten sie penibel. „Ein Hut und der Sonnenschirm sind unerlässlich“, zählt Louise die Accessoires der Krinolinenmode auf. „Eine vornehme Blässe zeichnete die Damen der gehobenen Gesellschaft damals aus.“ Die Spitzenhandschuhe dienen dazu, verräterische Zeichen des Alters zu kaschieren. Natürlich dürfen auch der Pompadour (eine beutelartige Handtasche) und geschnürte Halbstiefel mit kleinem Absatz nicht fehlen. Selbst unter dem für diese Modeepoche typischen Reifrock – die glockenförmige Krinoline – tragen die Frauen Unterwäsche jener Zeit: Bomper mit Spitze sowie ein Korsett für die schmale Taille. Auch die Frisur sitzt perfekt: Die Haare sind zum Nackenknoten gebunden oder zu Zöpfen geflochten. Ist das nicht möglich, tut’s eine Perücke. Dass Piercings im Gesicht und Tattoos nicht gern gesehen sind, versteht sich von selbst.

Keine Verkleidung, sondern ein Lebensgefühl

Natürlich dauere es seine Zeit, sich entsprechend herzurichten, räumt Tanja ein. „Mindestens eine Stunde“ benötigt sie dafür – und ohne die Hilfe ihres Mannes ginge es nicht. Für die Schnürung am Rücken hätten die Damen früher Personal gehabt, sagt sie schmunzelnd. Je nach Gesamtaufwand könne das Ankleiden auch schon mal zwei Stunden dauern. Doch die Mühe lohnt sich ihrer Erfahrung nach: „Wir bekommen immer Komplimente für unser Aussehen. Vor allem Kinder sind begeistert, halten uns für Prinzessinnen“, berichtet Gabriele. Für sie sei das keineswegs eine Verkleidung, versichert Louise nachdrücklich: „Das ist ein Lebensgefühl. In diesen Kleidern geht man ganz selbstverständlich aufrecht, schreitet vornehm und benimmt sich auch sonst wie eine Dame.“

Die üppige Rockweite hat Nachteile

Praktisch ist die Krinoline, die populärste Modeerscheinung des 19. Jahrhunderts, allerdings nicht – obwohl sie biegbar ist und sich einfach zusammenfaltet, wenn man sich zum Beispiel setzt. Sich damit hinters Steuer eines Autos zu zwängen sei ähnlich herausfordernd, wie es damals der Einstieg in eine Kutsche gewesen sein muss, erzählen die Frauen. Der ursprünglich mit Rosshaar, Fischbein oder Federstahlbändern versteifte Unterrock bringt es am unteren Saum immerhin auf einen Durchmesser von gut und gerne zwei Meter. Treppensteigen ist bei dieser üppigen Weite ebenfalls ein Problem: „Man sieht die Stufen nicht.“ Früher sei es immer wieder zu Unfällen gekommen, weil sich die Frauen mit den Säumen ihrer Krinolinen irgendwo verfingen, berichtet die in der Geschichte bewanderte Louise. Historisch belegt ist, dass sich viele von ihnen Verbrennungen zugezogen hatten, weil sie viel zu spät bemerkten, wenn das voluminöse Gewand Feuer fing.

Jedes Kleid ist ein Unikat

Die Kleider wurden vor allem aus Seide, Satin, Damast und Musselin gefertigt und mit Rüschen, Schleifen und Spitzen üppig verziert. Das alles hatte natürlich sein Gewicht. „Heute sind die Kleider dank synthetischer Materialien leichter“, verraten Gabriele und Louise. Alle Kleider, die sie ausführen, sind nach Originalschnitten selbst angefertigt – jedes einzelne ist ein Unikat. „Viele, viele Stunden“ verbringen die Gruppenmitglieder mit Schneidern, Nähen und Gestalten. Das Hobby hat es in sich: Im 19. Jahrhundert war modischer Aufwand an der Tagesordnung, es wurde viel Wert auf Details gelegt. Was man zu welcher Tageszeit und zu welchen Anlässen trug, war wichtige Etikette. Und so haben die „Zeitreisenden“ nicht nur ein Kleid im Schrank, sondern gleich mehrere.

1888 endete Zeit der Rockstützen

Die sperrige Krinoline hat um 1870 ausgedient, die Röcke wurden enger – ein erster Schritt hin zu bequemerer Frauenmode. Die weibliche Silhouette war nun ein flacher langer Rock vorne, aber ab der Taille betonte er die hintere Hüftpartie. Geschaffen wurde dieser Stil durch die Tournüre, ein in einem deutlich schmaleren Reifrock eingelassenes Polster, das den Rock über dem Gesäß aufbauschte. Dieser Effekt wurde mit Raffungen noch verstärkt. Zu Kleidern dieser bis 1888 währenden Epoche gehören eigentlich zwei Röcke: Der Überrock, der aufgesteckt wird, sowie der farblich abgestimmte Unterrock, der darunter zum Vorschein kommt. Doch schon wenige Jahre später verschwand auch die Tournüre. Die Zeit der Rockstützen war endgültig vorbei.

Schönheit und Eleganz präsentieren

Endgültig? Nicht ganz. „Wir flanieren leidenschaftlich gerne in unseren Kleidern an historischen Plätzen“, sagen Jeanette und Louise. „Unser Wunsch ist es, Menschen aus ihrem Alltag herauszuholen und sie für ein Weilchen in eine andere Welt hineinzuversetzen, ihnen die Schönheit und Eleganz der vergangenen Modeepoche vor Augen zu führen.“ Sehr gern begleiten sie – mit Köfferchen und Hutschachteln ausgestattet – Veranstaltungen aller Art. In ihrem Kostümfundus finden sich übrigens auch Kleidungsstücke der „Goldenen Zwanziger“ und der 1950er-Wirtschaftswunderjahre.

Die Gruppe sucht ständig schöne Stoffe, Stoffreste, schöne Federn, Hüte von 1900 und älter, Häkelhandschuhe, alte Broschen, Unterwäsche von früher, alte Schirme, Hutschachteln, Puppenwagen und vieles mehr. Wer „Galou & Tajett“ unterstützen oder auch mitmachen will, kann sich per E-Mail melden: galou.tajett@gmail.com. Über ihre Aktivitäten informiert die Gruppe auf Facebook.