„Ich bin kein Missionar, nur Pragmatiker“, sagt Umweltminister Franz Untersteller über sich Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die einen schmähen ihn als Verschandeler der Landschaft. Die anderen spotten, weil er so wenige Windräder in Schwung bringt. Umweltminister Franz Untersteller hat es nicht leicht, seine Klimaschutzpolitik zu erklären.

Stuttgart - Donnerwetter, ist da Druck dahinter! Wenn Umweltminister Franz Untersteller über Klimaschutz und Energiewende redet, wenn er sein Gegenüber fixiert, leicht mit dem Kopf pendelt und apodiktische Sätze in den Raum wirft, dann weckt er einen fast missionarischen Eindruck.

„Ich bin kein Missionar, nur Pragmatiker“, sagt der Grünen-Politiker dann und spult wie zum Beweis Zahlenreihen herunter. Zum Kohlendioxidausstoß etwa oder zur EEG-Umlage. Wenn es sein Gesprächspartner dann gut sein lässt und sanft einen Themenwechsel einleitet, dann drückt der 57-Jährige das Kreuz durch und unterbricht: „Lassen Sie mich das noch sagen . . .“

Klimaschutz made in Baden-Württemberg. Das treibt den gebürtigen Saarländer um – auch wenn sich soeben im 10 000 Kilometer entfernten Lima die Staatenlenker der Welt vor einer Lösung dieses Problems gedrückt haben. Ja, das Ergebnis des Klimagipfels sei ernüchternd, bedauert Untersteller, es gehe halt mal wieder ums Geld.

„Aber ohne die Schwellenländer geht’s nicht“

Schwellenländer wie Indien wollten sich partout nicht einschränken lassen. Und sie argumentierten gegenüber den Industriestaaten angesichts ihres vergleichsweise geringen Kohlendioxid-Ausstoßes: „Wir sind da, wo ihr hin müsst.“ Das stimmt ja auch: Deutschland kommt auf knapp zehn Tonnen pro Kopf und Jahr, die USA auf 17, China auf sechs, Indien auf nicht mal zwei Tonnen. „Aber ohne die Schwellenländer geht’s nicht“, befindet Untersteller.

Ohne Baden-Württemberg aber schon, oder? „Ja, man kann sagen: Auf uns kommt’s nicht an“, räumt der Grünen-Politiker ein. Doch ihm geht es um den Vorbildeffekt: Nur wenn Industrieregionen zeigen könnten, dass sich Wohlstand auch dann halten lässt, wenn weniger Kohlendioxid freigesetzt und Energie nachhaltig erzeugt wird, werde dies Nachahmer finden. Deshalb habe das Land ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. Deshalb nehme Grün-Rot die Hausbesitzer in die Pflicht. Und deshalb dränge er so auf den Bau neuer Windräder.

Doch wo stehen die alle? Gerade mal sieben neue Anlagen gingen in diesem Jahr ans Netz, rund 400 laufen insgesamt. Dabei sollten sich doch bis Ende des Jahrzehnts 1200 Räder im Land drehen, die zehn Prozent des Stroms erzeugen. Es gibt nicht wenige Bürger, die den Verzug aus Sorgen um das Landschaftsbild bejubeln. Andere bespotten Untersteller angesichts des Rückstands.

Schlichtweg keine bebaubaren Flächen vorgefunden

Man spürt, wie es in ihm arbeitet. „Mich macht nichts wütend, aber mich treibt das Thema um“, sagt er mühsam beherrscht. Er habe bei Amtsantritt schlichtweg keine bebaubaren Flächen vorgefunden: „99 Prozent des Landes waren Ausschlussgebiet.“ Grün-Rot habe also das Planungsgesetz geändert und damit begonnen, windradempfindliche Tierarten zu erfassen: „Die Schubladen in den Ministerien waren leer.“ Diese Probleme habe er unterschätzt, räumt Untersteller ein.

Doch jetzt sieht er Licht am Ende des Tunnels. Derzeit seien 278 Anlagen im Verfahren, im kommenden Jahr werde die Zahl der neuen Anlagen also spürbar zunehmen. Noch vor der Landtagswahl 2016? Oder erst danach – wenn er vielleicht gar nicht mehr Umweltminister ist?

Auf diese provokante Frage hat er geradezu gewartet: „Ich werde alles dafür tun, dass nicht eine andere Regierung meine Saat erntet.“ Ob es am Ende tatsächlich 1200 Anlagen sein müssen, wie er ursprünglich angekündigt hatte, bezweifelt der Minister aber inzwischen selbst. Die Kraftwerke würden nämlich immer höher und technisch immer besser. Erst kürzlich hat er auf dem Horkenberg bei Heilbronn zwei neue Windräder mit zusammen 4,7 Megawatt eingeweiht. Vielleicht habe er ja auch einen Fehler gemacht, als er die Zahl 1200 nannte, sinniert Untersteller und befindet: „Wir werden weniger Anlagen brauchen.“ Doch klar ist für ihn auch: Ohne Dämmung und ohne Windkraft auch im Südwesten wird die Energiewende nicht gelingen.

Mit Sigmar Gabriel nicht ganz einig

Wird sie denn überhaupt gelingen? Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat doch erst jüngst auf einer Veranstaltung der Stuttgarter Nachrichten eingeräumt, bei der Energiewende „passt fast nichts zusammen“. Und dann warnte der Sozialdemokrat davor, langfristige Versorgungssicherheit in Süddeutschland von teuren Stromimporten aus Österreich und Italien abhängig zu machen, weil diese dreckige, alte Ölkraftwerke in Betrieb hätten.

„Ich kann’s nicht glauben, dass Gabriel das gesagt hat“, schüttelt der Grüne den Kopf. Wenn überhaupt, dann seien diese österreichischen Kraftwerke allenfalls ein paar Stunden pro Jahr am Netz. Das werfe das Klima nicht aus der Bahn. Vor allem aber: Für dieses Geschäft baue kein Energieversorger neue, saubere Gaskraftwerke.

Von denen hätte Untersteller gern einige im Land, um die Lücke zu schließen, falls die windigen regenerativen Gesellen einmal ausfallen. Doch von sich aus bauen die Konzerne solche Kraftwerke nicht, weil mit dem Strom kaum Geld zu verdienen ist. Sein Rezept: Man muss für sie Anreize setzen, einen sogenannten Kapazitätsmarkt schaffen.

Schon vor Jahren hat Untersteller das vorgeschlagen, er war einer der Ersten mit dieser Idee. Auch Gabriel denkt mittlerweile über solche Methoden nach. Doch ob der Gesetzgeber den Schritt wagt, der den Verbraucher zusätzlich belasten würde, ist noch offen.

„Versorgungssicherheit wird ihren Preis haben“

Wieder folgt so ein Satz, auf den er allen nur möglichen Nachdruck legt: „Versorgungssicherheit wird ihren Preis haben.“ Neue Netze, Kraftwerke, Kapazitätsmärkte: Umsonst werde man das alles nicht bekommen, sagt er und doziert über sinkende Preise an der Strombörse und das Problem, mit Energie Geld zu verdienen.

Windkraft jedenfalls treibt seiner Ansicht nach den Preis für erneuerbare Energie nicht in die Höhe. Auch die Fotovoltaik sei daran nicht schuld – zumindest nicht jene, die jetzt neu genutzt wird. Ein Argument lässt er gelten: Der Staat hat die Nutzung der Fotovoltaik zu lange zu üppig gefördert. Der Anteil der Energiekosten am Bruttoinlandsprodukt sei allerdings auch bei privaten Haushalten in den letzten Jahren weitgehend gleich geblieben.

Warum behauptet Gabriel dann, es passe nichts zusammen? Auch diese Kritik wehrt Untersteller ab: „Ich habe von der Idee eines Masterplans noch nie etwas gehalten.“ Es sei illusorisch zu glauben, man könne in einer solchen Pionierphase mal eben im Handbuch nachblättern: „Sie müssen vielmehr immer wieder Anpassungen machen.“

Untersteller ist in seinem Element, er redet schnell, fast druckreif. Auf jeden Fall mit Nachdruck. Immer wieder fällt ihm etwas zu dem Thema ein. Was hätten Kritiker nicht geunkt, Frankreich müsse Deutschland mit Atomstrom unter die Arme greifen. Doch was passierte? 2012 hätten die Deutschen den Franzosen geholfen, deren Elektroöfen in Gang zu halten. „So, jetzt bin ich fertig“, sagt er schließlich.

Doch nun hakt die Redaktionsrunde nach. Scherzhaft vielleicht, aber aktuell: „Herr Umweltminister, wann gibt’s mal wieder richtig Schnee?“ Er sei ja leidenschaftlicher Skifahrer, bekennt Untersteller, aber leider kein Orakel.

Doch von Schneemangel bis Klimaschutz ist nur ein kurzer Weg. Deshalb sprudelt er erneut los und berichtet, dass am Hochrhein seit 25 Jahren ein besorgniserregendes Phänomen registriert wird: Die Apfelblüte setzt immer früher im Jahr ein. Das habe nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ökologische Folgen, weil etwa andere Schädlinge auftauchten.

Auch der Tourismus werde sich umstellen müssen. Und der Weinbau. Der Trollinger werde es schwerer haben bei steigenden Temperaturen. Vor allem aber der Riesling – und das ist für einen gebürtigen Saarländer ein weiterer Grund, das Klima zu schützen.

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