Wie Lehrer an Schulen verteilt werden, hat großen Einfluss auf die Unterrichtsversorgung. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Das Kultusministerium strebt nach mehr Gerechtigkeit bei der Lehrerversorgung der Schulen und erwägt einen Verzicht auf den Klassenteiler. Das kritisiert nicht nur ein Lehrerverband.

Um die Unterrichtsversorgung an den baden-württembergischen Schulen in der Fläche zu verbessern und Unwuchten bei der Ausstattung der Schulen mit Lehrkräften zu beseitigen, wird im Kultusministerium über eine Reform der Lehrerzuweisung nachgedacht. Unter anderem wird erwogen, die Verteilung der Pädagogen künftig nicht mehr wie bisher vor allem anhand des Klassenteilers vorzunehmen, sondern sich dabei stärker an der Mindestschülerzahl zu orientieren. Damit würde eine feste Obergrenze für die Schülerzahl je Klasse fallen, mithin könnte es zu größeren Klassen als bisher kommen.

 

Damit liegt im Hause von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) ein heißes Eisen auf dem Tisch, das auch in der Koalition alles andere als unumstritten ist. Die Lehrerversorgung ist auch in Baden-Württemberg seit Jahren angespannt. Dass es Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der begehrten Pädagogen gibt, dass manche Schulen kleine Klassen haben, während andere aus allen Nähten platzen, ist ein wachsendes Problem. Im nach den Sommerferien beginnenden nächsten Schuljahr soll eine durchgreifende Reform zwar noch nicht wirksam werden, wie aus dem jüngsten Organisationserlass zur Unterrichtsorganisation hervorgeht, der unserer Zeitung vorliegt und die tradierte Vorgehensweise bei der Verteilung der Lehrkräfte im wesentlichen fortschreibt. Allerdings löst das Reformvorhaben in der Schulszene bereits jetzt Unruhe aus. Denn nichts ist bei Lehrkräften und Eltern gleichermaßen verpönt wie die Aussicht, dass größere Klassen gebildet werden müssen.

Kultusministerium: Thema ist nicht vom Tisch

Das Kultusministerium bestätigt auf Anfrage, es werde im nächsten Schuljahr keine größeren Änderungen bei der Lehrerzuweisung geben. „Darüber hinaus sind noch keine Entscheidungen getroffen. Die Gespräche laufen noch“, so ein Sprecher. „Es gibt verschiedenste Überlegungen, die Unterrichtsversorgung zu verbessern und den Organisationserlass zur Lehrerzuweisung anzupassen. Das ist eine Daueraufgabe.“

Dabei geht es um ein kompliziertes Metier. Alle Schulstandorte im Land mit Lehrkräften zu versorgen, ist jedes Schuljahr aufs Neue eine Herkulesaufgabe. Die Zuweisung der Lehrkräfte orientiert sich im Südwesten auch bisher nicht allein am Klassenteiler, sondern wird anhand von verschiedenen Komponenten errechnet. Der Pflichtunterricht spielt dabei eine wesentliche Rolle, auch andere Aufgaben – bei Inklusion oder Ganztag zum Beispiel – fallen ins Gewicht. Doch nach Einschätzung von Schulkennern setzt kein Bundesland bei der Verteilung der Lehrkräfte so stark auf den Klassenteiler wie Baden-Württemberg. Aktuell und im kommenden Schuljahr gilt im Land für Grundschulen und Gemeinschaftsschulen ein Klassenteiler von 28, bei allen anderen Schularten sind es 30 Schülerinnen und Schüler. Gibt es mehr Schüler je Klasse, die nicht anders verteilt werden können, muss eine zusätzliche Klasse gebildet werden. Fällt die strenge Anwendung des Klassenteilers weg, können größere Klassen entstehen. Die Mindestklassengröße ist bisher für alle Schularten außer den Sonderschulen (12 Schüler) einheitlich bei 16 Schülern. In den Grundschulen erwägen die Modellarchitekten im Kultusministerium eine Senkung der Mindestzahl auf 16 Schüler.

Ausgefeiltes Reformmodell

In dem Reformmodell aus dem Kultusministerium sollen künftig unter anderem zwei Schülerkoeffizienten, die Mindest- und die mittlere Schülerzahl je Klasse eine Rolle spielen. Am Anfang stehen die Überlegungen nicht. In einer ausgefeilten, 55-seitigen Präsentation haben die Ministerialen an verschiedenen Beispielen die Auswirkungen der angedachten Änderungen durchdekliniert. Die Darstellung belegt, wie komplex die Materie im Allgemeinen und das Reformkonzept im Speziellen ist. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat das Konzept eingehend analysiert. In der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift zwar hinter die Ziele der Reform – mehr Chancengleichheit und eine faire Zuweisung von Ressourcen. Das Fazit fällt aber kritisch. Der Bildungsverband befürchtet, „dass die Reform über eine versteckte Erhöhung der Klassenteiler umgesetzt wird“.

Grün-schwarze Bildungsexperten senken den Daumen

Bei den Bildungspolitikern der grün-schwarzen Koalition sind die Reformüberlegungen aus dem Kultusministerium ebenfalls durchgefallen. Der CDU-Schulexperte Andreas Sturm steht einer Erprobung des Modells kritisch gegenüber. Es könne zu wesentlichen Veränderungen der Lehrerwochenstunden führen, die einer Schule zugewiesen werden, erklärte er auf Anfrage. „Eine Umsetzung dieses Modells durch eine Verankerung im Organisationserlass ist nicht vereinbart und wird deshalb auch so nicht landesweit eingeführt werden“, erklärt Sturm. Auch der grüne Bildungsexperte Thomas Poreski senkt den Daumen. „Ich finde das Konzept nicht überzeugend. Es bringt keinen Fortschritt und ist extrem intransparent.“ Natürlich sei es zumal in Zeiten von Lehrermangel gut, wenn intensiv über Reformkonzepte nachgedacht werde. Aber auch Poreski hält das Konzept für unausgegoren: „Da gibt es bessere Lösungen – sowohl im Land als auch bundesweit.“

Schulen im Südwesten

Lehrerzahlen
Laut der aktuellsten Statistiken sind an den allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg insgesamt Personen rund 115 000 Lehrkräfte beschäftigt. An beruflichen Schulen unterrichten laut Statistischem Landesamt 33000 Lehrer.

Schülerzahlen
Im vorigen Schuljahr besuchten in Baden-Württemberg etwa 1,1 Millionen Schüler allgemeinbildende und 388000 Jugendliche berufliche Schulen. luß