Wie viel Unterricht fällt aus? Eltern haben selbst nachgeforscht. Foto: dpa

Jede achte Schulstunde in der Region Stuttgart findet nicht wie geplant statt. Der eigentliche Skandal laut Elternvertretern: dass sie das mit einer eigenen Erhebung herausfinden mussten.

Stuttgart - An den Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart findet jede achte Unterrichtsstunde nicht wie geplant statt. Das ist das Ergebnis einer Erhebung, die Elternvertreter für die ersten neun Wochen des Jahres 2018 durchgeführt haben. Der Regierungsbezirk erstreckt sich von den Kreisen Böblingen und Heilbronn im Westen bis an die bayerische Grenze. In diesem Bereich gibt es rund 150 staatliche Gymnasien, jedes vierte hat sich an der Befragung beteiligt. An den untersuchten Schulen fanden 7,8 Prozent aller Unterrichtsstunden nicht statt, der größere Teil wegen Krankheit. Dazu kommen Vertretungen. 5,7 Prozent der untersuchten Stunden wurden nicht von der Lehrkraft gehalten, die dafür vorgesehen war.

Die von den Eltern ermittelten Werte sind höher als die bislang vom Kultusministerium kommunizierten Zahlen. Laut einer jährlichen Stichprobe des Ministeriums fielen an Gymnasien in den vergangenen Schuljahren 4,5 bis 5,5 Prozent aller Stunden aus. Diese Zahlen gelten allerdings landesweit; Zahlen für die Regierungsbezirke waren bislang öffentlich nicht verfügbar.

Michael Mattig-Gerlach zeigte sich am Montag verärgert. Bei einem Gespräch im Regierungspräsidium vergangene Woche sei klar geworden, dass auf Grundlage der jährlichen Stichprobe des Ministeriums sehr wohl Zahlen zum Unterrichtsausfall an den Gymnasien im Regierungsbezirk vorliegen. Diese liegen zumindest für den Zeitraum der Erhebung Mitte November allerdings unter den von den Eltern ermittelten Werten, teilten das Kultusministerium und das Regierungspräsidium auf Nachfrage unserer Zeitung mit. Mattig-Gerlach treibt jedoch etwas anderes um: „Man weiß längst, wie viel Unterricht ausfällt – aber keiner schlägt Alarm“, sagte der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Elternbeiräte an Gymnasien im Regierungsbezirk (Arge), die mit ihrer Untersuchung nun eine eigene Datengrundlage besitzt. Im April hatte die Arge bereits beklagt, das Regierungspräsidium behindere die Erhebung.

Das Grundproblem: Lehrermangel

Mit seiner eigenen Wahrnehmung stimme die Zahl von fast acht Prozent ausgefallenem Unterricht indes überein, sagt Mattig-Gerlach. Ein ähnlich großes Problem seien Vertretungsstunden. „Wie findet Vertretung denn statt? Von einem qualifizierten, zielgerichteten Unterricht können Sie da nicht sprechen.“ Er fordert „Sofortmaßnahmen“, zumal es am Geld wegen hoher Steuereinnahmen derzeit nicht mangele.

Mattig-Gerlach bringt mit Blick auf den Lehrermangel eine Qualifizierung geeigneter Eltern ins Spiel. Die Stuttgarter Gesamtelternbeiratsvorsitzende Kathrin Grix fordert, mehr Lehrer vorzuhalten als planmäßig benötigt. Zudem appelliert sie an das Ministerium, Referendare in den Sommerferien nicht länger wie bisher zu entlassen.

Die Ministerin reagiert – mit einer eigenen Erhebung

Dass es an qualifizierten Lehrkräften fehlt, räumt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) in einer schriftlich verbreiteten Reaktion ein. Eine planmäßige Überversorgung mit Lehrkräften sei daher „wenig realistisch“. Sie sei aber offen für ein Programm, um Quereinsteiger zu gewinnen.

Auf die Idee, eigene Daten zu erheben, ist die Arge bei einer Tagung 2017 gekommen. Dort hätten die bildungspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen geklagt, dass ihnen keine detaillierten Zahlen zum Unterrichtsausfall vorlägen, so Mattig-Gerlach. Besonders zufrieden ist er, dass die Kultusministerin das mittlerweile genauso sieht. Mitte Juni hat es erstmals von allen Schulen im Land Zahlen zum Unterrichtsausfall angefordert, wenn auch nur für eine Schulwoche. Die Auswertung soll vor Ferienbeginn vorliegen.