Blick auf die Stiftskirche und das Rathaus im zerstörten Stuttgart 1945. Foto: dpa

70 Jahre nach Kriegsende hat unsere Zeitung im vergangenen Jahr eine Leserserie mit Zeitzeugenberichten gestartet. Nun stehen ausgewählte Texte Lehrkräften für den Geschichtsunterricht zur Verfügung.

Stuttgart - 70 Jahre danach sind die Erinnerungen an das Kriegsende bei vielen Zeitzeugen noch immer präsent. Das zeigen unter anderem die zahlreichen Berichte, die unsere Zeitung im vergangenen Jahr erhalten hat: Die Leserinnen und Leser waren dazu aufgerufen worden, anlässlich des Jubiläums ihre Erlebnisse unter dem Motto „70 Jahre Kriegsende – Leser erinnern sich“ einzusenden.

Über 100 Briefe, E-Mails und Anrufe gingen daraufhin im Laufe des Jahres in der Redaktion ein und offenbarten einen wahren Schatz an Erinnerungen. Viele Zeitzeugen stellten zusätzlich Fotos und Originaldokumente von damals zur Verfügung. In loser Abfolge wurden ihre Berichte bis Ende des Jahres im Ressort Landesnachrichten veröffentlicht – erschreckende Kriegserlebnisse, die bis heute bei den Betroffenen nachwirken, aber auch Erinnerungen an Augenblicke der Menschlichkeit mitten im Grauen des Konfliktes.

Viele Leserinnen und Leser, die sich an der Serie beteiligten, äußerten den Wunsch, ihre Erinnerungen weiterzugeben. „Darum halte ich es für so wichtig, dass man diese Zeit nicht vergisst – damit so etwas niemals wieder geschieht“, schrieb beispielsweise eine Zeitzeugin.

So entstand die Idee, einige besonders beeindruckende Berichte für den Geschichtsunterricht zur Verfügung zu stellen – in der Form, in der sie auch in unserer Zeitung im Rahmen der Leserserie erschienen sind.

Kriegsende in Gefangenschaft

Da ist beispielsweise die Geschichte einer langen Flucht aus dem Örtchen Großpostwitz bei Bautzen, die im März 1945 begann, über Tschechien und Wien führte und schließlich im Mai 1946 in Hahnenklee im Harz endete. Eindringlich beschreibt Zeitzeugin Ingrid Noller die schrecklichen Erlebnisse dieser Odyssee, wie sie sie als Siebenjährige wahrgenommen hat – den Tod ihrer kleinen Schwester, die Vergewaltigungen der Frauen durch die Soldaten und den Hunger, der sie quälte.

Ein anderer Zeitzeuge erzählt, wie er das Kriegsende als junger Soldat in französischer Gefangenschaft erlebte: „Mit Erleichterung nahmen wir das Ende des Schießens, des Bombenschmeißens auf, aber als Befreiung konnte wohl keiner die Stunde empfinden“, schreibt Hanns Biering.

Wie sich 1945 in Prag der Hass auf die Deutschen entlud, beschreibt Kurt Weiß, der im Alter von zehn Jahren aus seiner tschechischen Heimat vertrieben wurde und sich noch heute fragt, was in den Kriegswirren aus dem Sohn der Nachbarn geworden ist, den die Familie dem Roten Kreuz übergeben hatte.

Tagebuchaufzeichnungen eines 13-Jährigen

„Die Feinde sind Menschen wie du und ich“, ist die Geschichte von Christa Knauß überschrieben – offen und ehrlich erzählt sie davon, wie schwer es ihr als junge Frau fiel, sich von der jahrelangen Nazi-Propaganda zu lösen. „Wenn man zehn Jahre lang hört und liest, dass wir die edlen Herrenmenschen sind, dann glaubt man das“, sagt sie.

Zeitzeugin Helene Miola berichtet vom Leben im Stuttgart der Nachkriegszeit – ohne Vater, der als vermisst galt, musste sich ihre Familie durchschlagen. Wir hatten trotz allem viel Glück im Unglück, ist sie noch heute überzeugt und denkt dabei vor allem an die Hilfsbereitschaft, die sie erfahren hat.

Paul Bergmann begann 1944 mit 13 Jahren Tagebuch zu schreiben. Er hat seine Aufzeichnungen neben vielen anderen Dokumenten von damals bis heute aufbewahrt. Anschaulich schildern die Tagebucheinträge, wie der Junge das Kriegsende erlebte.

Eine gefährliche Flucht wagte die Familie von Werner Janzen: Mit dem Hilfskreuzer „Orion“ gelangte sie nach Dänemark: „Welch ein befreiendes Gefühl für mich: Die Stille rings um uns. Vor mir die heile Stadt Kopenhagen mit ihren grünen Kupferdächern. Und vor allem, der Roten Armee entronnen“, erinnert sich der Zeitzeuge.

In Zusammenarbeit mit Lehrkräften einer Realschule und eines Gymnasiums entstanden zu jedem der insgesamt sieben ausgewählten Berichte Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Einige davon schlagen auch den Bogen zum aktuellen Flüchtlingsgeschehen. Interessierte Lehrer können das Material als PDF hier herunterladen.