Arndt Kirchhoff führt vom Sauerland aus die Kirchhoff-Gruppe, einen Automobilzulieferer mit weltweit 10 500 Mitarbeitern. Seit 2016 ist er Präsident der Unternehmer NRW. Foto: Metall NRW

Kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl kritisiert der Präsident der Unternehmensverbände in NRW, Arndt G. Kirchhoff, dass das Land im bundesweiten Ranking vielfach noch immer hinten liege. Die künftige Regierung möge aber keine große Koalition sein, hofft er.

Stuttgart - Geringe wirtschaftliche Dynamik, hohe Arbeitslosigkeit und die mit Abstand meisten Schulden – die Wirtschaft sieht hohen Handlungsdruck bei der künftigen Landesregierung in Düsseldorf. Der Präsident der Unternehmensverbände in NRW, Arndt G. Kirchhoff, macht vor allem die Grünen für die Misserfolge der vergangenen fünf Jahre verantwortlich.

Herr Kirchhoff, Nordrhein-Westfalen gilt vielen als das Armenhaus der Republik – als Sozialfall. Wie ist Ihre Sicht auf das Land?
Wir sind weder Armenhaus noch Sozialfall. Nordrhein-Westfalen ist nach wie vor die stärkste Industrieregion Deutschlands – das einzige Bundesland, das noch die komplette Wertschöpfungskette hat mit Stahl-, Kunststoff- sowie Rohstoffindustrie bis hin zur Fertigung der Endprodukte. Die Dienstleistungen ergeben sich aus diesen wertschöpfenden Arbeitsplätzen, die letztendlich den Wohlstand bringen.
NRW wird aber mit Krise und wirtschaftspolitischer Unfähigkeit gleichgesetzt?
Unfähig sind wir überhaupt nicht. Wir haben es im Land mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu tun: Es gibt starke Industrieregionen in Westfalen. Am Rhein ist es auch in Ordnung. Auch durch den Strukturwandel haben wir aber immer noch schwache Regionen im Ruhrgebiet. Duisburg, Oberhausen, Gelsenkirchen und andere Zentren tun sich nach wie vor schwer. Nicht nur die Unternehmer hier, sondern auch die Arbeitnehmer sind es leid, sich immer anhören zu müssen, dass Baden-Württemberg oder Bayern besser seien. Völlig zurecht, denn sie sind absolut gleichwertig. Da sagen wir Unternehmer, dass die Bedingungen besser sein könnten. Sie haben zur Folge, dass wir in einzelnen Punkten im bundesweiten Vergleich weiter auf hinteren Tabellenplätzen liegen. Wir müssen die Fesseln lösen und eine bessere Landespolitik machen.
Arbeitslosigkeit, Wachstum oder Schuldenstand entwickeln sich doch eher positiv?
Wir sind seit 2010 beim Wachstum gegenüber dem Bundesschnitt um vier Prozentpunkte zurückgefallen, wenn man sich die Detailzahlen anschaut. Wir sind zwar auch gewachsen, klar. Doch der Bund hatte im Vorjahr ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent – wir von 1,8 Prozent. Wir wachsen, aber wir wachsen nicht so schnell. Sorge macht mir vor allem die rückläufige Industrieproduktion.
Viele Probleme sind strukturell bedingt statt von der Regierung individuell verschuldet?
Das ist oft eben nicht strukturell bedingt, da stimmen die Rahmenbedingungen nicht. Ein Beispiel: In einigen Städten mit hoher Arbeitslosigkeit ist die Ausstattung mit Internet ganz gut. Dort, wo die Industrie steckt und wo man dringend die Digitalisierung vorantreiben müsste, ist die Ausstattung eher schwach. Hier wird nicht das Richtige für die jeweiligen Regionen getan.
Wegen des Strukturwandels ist der Finanzbedarf bei Straßen, Schienen, Energie- und Digitalnetzen höher als in anderen Ländern – lässt sich das einer Regierung anlasten?
Das ist sicherlich das Verschulden vieler Jahre und Regierungen. Wir liegen in der Mitte Europas wie eine Spinne im Netz. Daher haben wir ja eine solch dichte Infrastruktur, die allerdings vernachlässigt worden ist, weil man sich zweieinhalb Jahrzehnte lang vornehmlich um den Osten gekümmert hat. Mittlerweile stellt der Bund mehr Geld bereit. Doch da war NRW wieder ein bisschen langsamer als andere Länder beim Abrufen der Mittel, die auf Grundlage belastbarer Planungen vergeben werden. So konnten wir das Geld nicht so schnell verbauen. Baden-Württemberg oder Bayern betreiben mehr vorausschauende Planung. Das ist einer von vielen Schwachpunkten. Oder wer etwas bauen will, eine Netzleitung oder eine Firma etwa, wird durch eine Verschärfung der umweltrechtlichen Prüfung behindert. Auch bei der Flächenausweisung von Industriegebieten könnte sich mehr tun. Einige Kommunen haben ihre Planungen für neue Flächen schon eingestellt, weil die Auflagen soweit verschärft wurden, dass sie keinen Sinn mehr darin sehen.