Trotz Hightech ist auch Handarbeit gefragt: Ein Mitarbeiter des Familienunternehmens Binder aus Tuttlingen montiert einen Klimaschrank. Foto: Binder

Das Familienunternehmen Binder aus Tuttlingen will auch künftig nur in Deutschland produzieren – obwohl 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erzielt werden. Der Hersteller von Klimaschränken für die unterschiedlichsten Branchen schwört auf „Mady in Germany“.

Tuttlingen - Wo Binder drauf steht, ist Tuttlingen drin“, sagt Peter M. Binder. Nach dem Willen des geschäftsführenden Gesellschafters soll dies auch künftig so bleiben: Obwohl 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erzielt werden, soll auch künftig nur in Tuttlingen produziert werden. „Die deutsche Facharbeit wird auf den internationalen Märkten sehr geschätzt“, sagt Binder. Dass es sich bei diesem Lob des Standorts Deutschlands nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt, hat das Familienunternehmen mit der größten einzelnen Investition in der Firmengeschichte unterstrichen: Für 13 Millionen Euro wurde im Herbst 2017 im Gewerbegebiet Mittlerer Ösch ein neues Fabrikgebäude, die „Competence Factory“, hochgezogen – eine durchaus stattliche Investition für ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von damals 63 Millionen Euro.

Herzklappen aus dem Zuchtschrank

Doch auch wenn dieser nicht besonders hoch ist – Binder ist nach eigenen Angaben dennoch Weltmarktführer für Simulationsschränke. „Wir simulieren die Umwelt“, sagt Prokurist Peter Wimmer. Was Binder herstellt, sieht auf den ersten Blick aus wie Kühlschränke. Doch die Geräte können mehr als Fleisch oder Gemüse frisch halten. In den Schränken können Bakterien oder Zellen gezüchtet werden. „Wir können Zellen wachsen lassen“, erklärt Binder, „etwa Krebszellen“ – als ein Mittel im Kampf gegen den Krebs. Doch in solchen Schränken können auch Stammzellen gezüchtet werden. Diese können im menschlichen Körper dann dort eingesetzt werden, wo etwa ein Gewebe verletzt ist. Auch Herzklappen oder Blutgefäße können in den Schränken gezüchtet werden. Zudem lassen sich auch anthroposophische Arzneimittel oder Naturkosmetikprodukte darin testen – Weleda aus Schwäbisch Gmünd etwa gehört zu den Kunden. Die Pharmaindustrie erprobt in den Kästen, die die Experten als „Konstantklimaschränke“ bezeichnen, die Haltbarkeit von Medikamenten.

Autoteile im Test

Unter extremen Klimabedingen können Kunden in den Schränken Alterungsprozesse beschleunigen und das Verhalten von Produkten bei starker Belastung erforschen. Dabei geht es keineswegs nur um Gesundheit: Auch Autoteile können in die Schränke gesteckt werden. „In wenigen Tagen kann geprüft werden, wie etwa ein bestimmter Kunststoff nach zehn Jahre in Wind und Wetter aussehen würde“, sagt der Firmenchef. Bei solchen Stresstests werden Produkte für die Autoindustrie Temperaturschwankungen von minus 70 Grad bis zu plus 180 Grad unterworfen. „Das breite Spektrum unserer Kundenbranchen ist ein großer Vorteil“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter.

Der Chef lässt sich auch in der Fabrikhalle blicken

Die neue Halle wurde nicht nur so gebaut, dass ringsherum weitere Anbauten möglich sind – durch ein vollautomatisches Blechlager wurden die Durchlaufzeiten um 30 bis 60 Prozent reduziert. Dort lässt sich auch Binder praktisch jeden Tag blicken: „Der Unternehmer braucht einen engen Kontakt zu seiner Belegschaft“, so die Erfahrung des Firmenchefs, „das nützt beiden und schafft ein gutes Arbeitsklima“. Als Gründungsjahr gibt Binder 1983 an. Doch eigentlich ist es schon älter. Seine Eltern hatten früher eine Fabrik, die ebenfalls Schränke zum Sterilisieren von Spritzen und Operationsinstrumenten herstellte. Und schon 120 Jahre vor der offiziellen Firmengründung waren zwei Vorfahren in Tuttlingen in einer Schuhmanufaktur am Werk.

In China ist das Wachstum am stärksten

Warum dennoch 1983 als Gründungsjahr angegeben wird? Dieses Jahr bedeutete eine Zäsur, sagt Binder. Ihm sei schnell klar gewesen, dass er neue Produkte brauchte. Knapp 20 Jahre nach der „Neueröffnung“ wird in den USA die erste ausländische Niederlassung gegründet, sechs Jahre später in Hongkong die Binder Asia Pacific ltd.

Für das laufende Jahr strebt das Unternehmen mit seinen 400 Mitarbeitern eine Umsatz von 71 Millionen Euro an. Etwa 80 Prozent des Umsatzes werden im Ausland erwirtschaftet. Mit rund 40 Millionen Euro kommt der Löwenanteil des Auslandsumsatzes aus Europa. Etwa zwölf Millionen trägt Asien bei, den Rest Nord- und Südamerika. China ist inzwischen nicht nur der zweitwichtigste einzelne Markt nach Deutschland, sondern auch derjenige mit den höchsten Wachstumsraten.

Überdurchschnittlich viel Geld für die Forschung

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen mit neun Prozent des Umsatzes deutlich über dem Branchendurchschnitt im Maschinenbau. Als größtes Hemmnis für weiteres Wachstum betrachtet der Firmenchef den Mangel an qualifizierten Mitarbeitern – mit 2,7 Prozent gehört der Kreis Tuttlingen in Baden-Württemberg zu den Arbeitsagenturbezirken mit den wenigsten Erwerbslosen.

Zusammen mit der Hochschule Furtwangen wurde in Tuttlingen vor einigen Jahren ein Campus eröffnet, an dem etwa 900 Studenten eingeschrieben sind – für Binder auch eine Möglichkeit, junge Ingenieure zu rekrutieren. „Wir stehen vor einer Expansionsphase“, erklärt der Firmenchef, „bis 2025 wollen wir 500 Mitarbeiter haben und den Umsatz auf 120 Millionen Euro fast verdoppeln.“ Das mag er durchaus schaffen, anderes aber nicht: „Wir können in unseren Schränken Produkte älter machen“, sagt Binder. „Aber wir können sie leider nicht jünger machen.“